Menschenskinder
entgegen. »Ich hab einfach keinen Platz mehr, anscheinend hat sie hier zugenommen!«
Aus nahe liegenden Gründen und um der Vermutung vorzubeugen, meine Tochter habe trotz ihrer einunddreißig Jahre noch nicht einmal das vorpubertäre Stadium erreicht, scheint mir eine Erklärung angebracht: Wer Steffi vor Urzeiten ein Nilpferd als Glücksbringer fürs Auto geschenkt hat, weiß ich nicht mehr, jedenfalls bildete es den Grundstock für ihre Sammlung (es hängt immer noch, wenn auch reichlich verblasst, am Rückspiegel). Die letzte Zählung ergab 278 Nilpferde, zwei Drittel davon in Setzkastengröße, die anderen erheblich umfangreicher. Herausragend ist Knautschke, ungefähr einen Meter lang, nicht ganz so hoch und beliebt bei allen Besuchern, die sonst immer eine Fußbank brauchen. Dann gibt es noch Edi (grau) und Malchen (dunkelgrün), beide aufrecht sitzend und vom Volumen her durchaus in der Lage, jeweils einen Sessel auszufüllen. Ihr Stammplatz ist jedoch das Gästebett, und ich möchte gar nicht wissen, was der jeweilige Gast im Stillen denkt, wenn er diese Riesenvieches erst mal abräumen muss. Ich setze sie immer in den Flur, wurde aber schon des Mordversuchs beschuldigt, weil Hannes nachts auf dem Weg zur Toilette über Malchen gestolpert und längs auf die Fliesen geknallt war.
Die übrigen Hippopotamusse (?) – so heißen diese Kolosse nämlich mit lateinischem Namen, nur der Plural steht nicht im Duden, ich hoffe, er ist trotzdem richtig – sind überwiegend aus Plüsch und in fast allen Farbschattierungen vorhanden, sogar ein rotes ist darunter. Sie sitzen überall verteilt im Computer-Zimmer (ja, es gibt Leute, die so etwas auch außerhalb ihres Büros haben) und werden alle Vierteljahre abgesaugt. Eines Tages saß dort auch ein handliches gelbes, ziemlich nackt aussehendes Nilpferd, das gar nicht so richtig in diese plüschige Versammlung passte.
»Schmeiß es in den gelben Sack«, hatte Hannes vorgeschlagen, »da gehört es hinein: Gelb mit grünem Punkt … das personifizierte Recycling System!«
Natürlich war es nicht im gelben Sack gelandet, vielmehr hatte es seinen Namen bekommen aus den Anfangsbuchstaben jenes Müllentsorgungsprogramms, also Resy, und seitdem sitzt es auf Steffis Bett, sofern es nicht gerade mit auf Reisen geht. Angeblich ersetzt es in fremden Betten das zu große oder zu harte oder sonst wie missliebige Kopfkissen. Sogar zu Wochenendbesuchen bei uns wandert es ins Übernachtungs-Köfferchen. Dass mal der Schlafanzug hier liegen bleibt oder der Geldbeutel, kann vorkommen, Resy ist noch nie vergessen worden!
Und dieses Vieh sollte ich nun in meinem Gepäck unterbringen, weil es bei Steffi keinen Platz mehr fand. »Ich mach mich doch nicht lächerlich! Was sollen denn die Männer beim Einchecken denken, wenn mein Koffer durch den Scanner rutscht? Ein Nilpferd zwischen Sonnenmilch und Unterhosen! ›Die Alte tickt nicht mehr richtig, die ziehen wir erst mal aus dem Verkehr! Wer weiß, was die später im Flieger anstellt!‹«
»Blödsinn! Das is’n Mitbringsel fürs Enkelkind!
»Für welches?« Aber das hatte Steffi nicht mehr gehört. Also noch mal den Schlüssel aus der Bordtasche kramen, ins Schloss stecken, passt nicht, ist wahrscheinlich der vom Kosmetikkoffer, weitersuchen, endlich fündig werden, jetzt ist es der richtige, Deckel aufklappen, es klopft an der Tür, der Boy will das Gepäck holen, ja, sofort, just a minute, irgendwo in der Mitte eine Kuhle graben, geht nicht, da steckt schon was Hartes, richtig, die Schachtel mit den Gesellschaftsspielen, auch umsonst mitgeschleppt, haben wir gar nicht gebraucht, vielleicht ist rechts an der Seite noch Platz, nein, ist nicht wegen der Schuhe, wollte ich ja eigentlich da lassen, habe ich dann doch nicht, sind so herrlich bequem, und zu Hause sieht sie ja kaum jemand, der Boy klopft schon wieder, ach verdammt noch mal, was interessiert mich die Meinung irgendwelcher Flughafenmenschen, Resy kommt einfach oben drauf, Deckel zu, Schlüssel rumgedreht und abgezogen, fertig! »Now you can take the luggage!«
Ein letztes Mal der Marsch vom Bungalow zum Speisesaal, zum letzten Mal an diese verflixte Baumwurzel gestoßen, bloß ist das heute nicht schlimm, ich habe ja feste Schuhe an, ein letzter Blick zu unserem kleinen Strandabschnitt, den aus unbegreiflichen Gründen jeder Neuankömmling respektiert hat, obwohl noch genug Platz gewesen wäre, ein letztes Mal die Standardfrage von Juan: »One coffee, two tea?«, und eine
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