Menschensoehne
er dich angreift. Deswegen sind wir hier, und aus keinem anderen Grund.«
»Er hat Eva übel behandelt, und ich wollte sehen, was für ein Mensch das ist. Eva ist eine Zeit lang mit ihm zusammen gewesen, und sie kam heute Abend zu mir, nachdem der Kerl sie blutig geschlagen hatte. Ich wollte mich mit ihm darüber unterhalten, aber er hat mich angegriffen. Ich bin gegen Gewaltanwendung.«
»Weil er deine Tochter geschlagen hat, willst du ihn am liebsten umlegen? Das ist verdammt primitiv.«
»Primitiv! Mensch, komm mir bloß nicht damit und setz dich nicht aufs hohe Ross. An meiner Stelle hättest du genau das Gleiche getan. Ich habe mir mal die Akte von dem Kerl angeschaut, und das solltest du auch tun. Er ist als Gewalttäter bekannt – und als Dealer, und vergewaltigt hat er auch schon. Eigentlich müsste er im Knast sein, aber es liegen zu wenig Anklagen gegen ihn vor. Es lohnt sich erst, den Kerl vor den Kadi zu bringen, wenn noch mehr Straftaten vorliegen, und selbst dann verknacken diese Saftsäcke von Richtern ihn nur auf Bewährung, er sitzt ein paar Monate ein und macht dann weiter, als ob nichts vorgefallen wäre.«
»Glaubst du etwa, dass so was hier ihn davon abbringt?«
»Ich weiß nicht, was solche Kerle davon abbringt. Ich habe keine Ahnung. Aber ich weiß, dass wir nicht endlos zulassen können, dass sie sich so benehmen, als existierten wir überhaupt nicht.«
»Und warum bin ich hier?«
»Das ist ein hartgesottener Typ. Du bist Zeuge, dass er auf mich losgehen wollte.«
»Und was, wenn ich die Wahrheit sage? Das heißt, wenn sie nicht selber darauf kommen. Es liegt doch auf der Hand, dass du persönlich involviert bist.«
»Was ist hier die Wahrheit?«, schrie Erlendur und ließ zum ersten Mal die Wut heraus, die in ihm kochte. »Über was für eine Wahrheit schwafelst du da? Bei mir zu Hause liegt die Wahrheit blau und zerschunden auf dem Sofa, und zwar wegen dieses Mannes. Komm mir bloß nicht mit irgendeiner Wahrheit. Falls du sie bei irgendwelchen Seminaren in Amerika entdeckt hast – herzlichen Glückwunsch.«
»Verdammt noch mal, warum ziehst du mich in deine Privatangelegenheiten rein?«, brüllte Sigurður Óli zurück, der sich von Erlendurs Worten getroffen fühlte. »Ich bin eben anders als du. Ich bin nicht in demselben Mistjob mein ganzes Leben lang vergammelt, und das habe ich auch in Zukunft nicht vor zu tun. Du siehst ja, was aus dir geworden ist. Du bist auch nicht besser als diese Jammergestalt da. Und dann besitzt du die Unverschämtheit, mich in deinen miesen Racheakt hineinzuziehen. Das lasse ich mir nicht gefallen, das lasse ich mir unter gar keinen Umständen gefallen!«
»Racheakt! Der Kerl ist auf mich losgegangen«, schnaubte Erlendur.
Sie verließen die Wohnung und hörten in der Ferne eine Sirene. Ein junges Mädchen mit schwarz umrandeten Augen und knallrotem, ziemlich verschmiertem Lippenstift auf geschwollenen Lippen, kam in diesem Augenblick hinzu und wollte in das Haus, aber sie ließen sie nicht herein und empfahlen ihr, sich hier nie wieder blicken zu lassen.
»Hast du das Gebiss gesehen?«, fragte Sigurður Óli.
»Wie ein Hai«, sagte Erlendur.
Sigurður Óli kam nie wieder auf diese Szene zu sprechen. Erlendurs Tochter lag eine Woche im Krankenhaus, aber danach verging noch nicht einmal eine Woche, bevor sie wieder in der Gosse landete. Magni verbrachte etwas längere Zeit im Krankenhaus, und sein Fall wurde von den Justizbehörden vorrangig behandelt, weil man in seiner Wohnung jede Menge Drogen gefunden hatte. Er wurde in einem Aufwasch für diverse andere Straftaten verurteilt und bekam drei Jahre, davon eins auf Bewährung. Er saß ein knappes Jahr ein, und kaum war er entlassen, machte er wie gewohnt weiter, bis er urplötzlich verschwand, und seitdem hatte man nichts mehr von ihm gehört. Das erregte einige Aufmerksamkeit in der Regenbogenpresse, die angeblich Informationen über eine Abrechnung in der Rauschgiftszene hatte: Magni sei ermordet und seine Leiche ins Meer geworfen worden. Erlendur beteuerte hoch und heilig, dass er nichts mit Magnis Verschwinden zu tun hatte, aber Sigurður Óli war keineswegs überzeugt. Magni hatte nie Anzeige gegen Erlendur erstattet, der aber trotzdem einen Verweis wegen eines brutalen Angriffs auf den umsatzstärksten Dealer in Reykjavík erhielt. Erlendur erklärte, in Notwehr gehandelt zu haben. Sigurður Óli stützte Erlendurs Aussage voll und ganz: Magni hatte zuerst angegriffen. Beim Verhör
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