Menschensoehne
dass Sicherheitsleute das Haus bewachten. Nicht einmal die Kinder in der Nachbarschaft wagten sich in seine Nähe.
Von außen wirkte das monumentale Gebäude wie eine Trutzburg, drinnen wie ein Palast. Die Wände der Empfangshalle in einem der Trakte waren mit Gemälden der bekanntesten isländischen Maler gepflastert, auch der einzige Cézanne, den es auf Island gab, hing dort, und überall standen Skulpturen herum. Auf den Böden lagen dekorative Tierfelle, darunter, vor dem riesigen Kamin in der Empfangshalle, das Fell eines Eisbären, der mit klaffenden Kiefern auf all die Pracht und Herrlichkeit starrte, die ihn umgab. Eine hervorragend ausgestattete Bibliothek nahm über die Hälfte dieses Trakts ein.
»Halldór ist tot«, sagte die Stimme am Telefon kalt.
Der nackte Mann stieg aus der Dusche und warf sich den Hausmantel über.
»Das habe ich in den Nachrichten gehört.«
»Brutaler hätte man es kaum machen können.«
»Hatte er mit jemandem geredet?«
»Er ist angeblich in den letzten Wochen sehr oft zu Daníel in die Klinik gegangen, und sie haben sich lange unterhalten. Halldór hat damit gedroht, dass er für alles Beweise hätte, mit denen er über kurz oder lang an die Öffentlichkeit gehen würde. Er sagte, er würde seine Gespräche mit Daníel mitschneiden. Bei dem Alten war mehr als eine Schraube locker.«
»Was meinst du damit, mitschneiden?«
»Auf Kassetten, denke ich.«
»Was für Gespräche?«
»Vielleicht über die Connection zu uns. Vielleicht über die guten alten Zeiten in der Schule. Ich weiß es nicht. Aber ich bin der Meinung, dass man das nicht unbedingt ernst nehmen muss. Halldór konnte einem zwar mit all diesen Drohungen ziemlich auf den Geist gehen, aber er hat nie irgendwas davon wahr gemacht, das hat er sich einfach nicht getraut.«
»Womit hat er gedroht?«
»Er hat gesagt, er würde alles aufdecken. Dieser Mann hat sich mit seinen Schuldgefühlen völlig kaputtgemacht. Der hat nie richtig kapiert, um was es ging.«
»Dann war es wirklich an der Zeit, dass er über den Jordan ging.«
»Und Daníel hat sich umgebracht.«
»Ja, habe ich gehört.«
»Er ist also der Siebte. Ist aus dem Fenster gesprungen, und das war das Ende. Vielleicht war das, was Halldór ihm erzählt hat, zu viel für ihn.«
»Also einer weniger, über den man sich Gedanken machen muss.«
»Ist jetzt außer Sigmar überhaupt noch jemand übrig?«
»Sigmar? Der ist doch sowieso nur noch ein Wrack. Nach ihm ist es ausgestanden.«
»Ja, es ist wahrhaftig an der Zeit, dass die Sache ein für alle Mal aus der Welt ist.«
»Richtig. Aber es könnte ziemlich brenzlig werden, wenn Halldór tatsächlich die Gespräche aufgenommen hat. Womöglich erwähnt er uns da in seinem verrückten Gefasel.« »Ja, das könnte Unannehmlichkeiten nach sich ziehen, aber im Grunde genommen ist das dann doch nur das Geschwätz eines alten Mannes und eines Schizophrenen. Wer nimmt so etwas denn schon ernst? Ich denke nicht, dass uns jemand mit solchen Beweisen etwas anhaben kann. Und jetzt sind beide tot.«
»Müssen wir nicht trotzdem versuchen, an diese Kassetten heranzukommen, oder zumindest herausfinden, ob sie überhaupt existieren? Es könnte uns eine Menge Ärger einbringen, wenn das, was Halldór wusste, an die Öffentlichkeit gelangt.«
»Ja, wahrscheinlich ist das sicherer. Trotzdem kann ich mir kaum vorstellen, dass Halldór so raffiniert war. Er war ein menschliches Wrack, er war pervers, und er hatte nichts in der Hand, um uns irgendwas nachzuweisen.«
»Haben sich die Koreaner wieder gemeldet?«
»Sie wollen, dass du hinfliegst. Sie ziehen es überhaupt nicht in Betracht, nach Island zu kommen. Der Mann ist steinalt und weigert sich rundheraus. Du musst hinfliegen.«
»Auf gar keinen Fall. Der wird wohl die weite Reise von Korea hierher auf sich nehmen müssen. Er kann es sich gar nicht leisten, diese Gelegenheit nicht wahrzunehmen, denn so was bekommt er nur bei uns. Davon bin ich überzeugt.«
»Na schön. Sind die Deutschen weg?«
»Sie sind heute Nacht abgeflogen.«
»Und wie geht es den Jungen?«
»Bestens. Sie fühlen sich immer sehr wohl hier in Island.« »Dann ist also alles startklar?«
»Alles ist startklar«, bestätigte der Mann im Hausmantel, während er sich mit einer kleinen Pinzette ein Haar aus der Nase zupfte. Er stellte sich dabei aber so ungeschickt an, dass es schmerzte. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
Vierzehn
In den vierziger und fünfziger Jahren dehnte sich
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