Menschensoehne
deutet alles hin.«
»Wie bitte? Ich begreife das nicht. Wer würde denn diesen armen Kerl ermorden wollen?«
»Vielleicht seine ehemaligen Schüler?«
»Jemand aus dieser Schule? Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst. Willst du damit sagen, dass meine Schüler unter Mordverdacht stehen?«
»Alles ist denkbar.«
»Das ist doch vollkommen absurd. Ich hoffe bloß, dass das nicht an die Presse gelangt. Das würde einen Riesenskandal geben, nicht zuletzt unter den Schülern. Und was glaubt ihr, wie die Eltern reagieren würden?«
»Ja, da sagst du was«, erwiderte Erlendur. »Tun wir also besser so, als hätte dieses Gespräch gar nicht stattgefunden. Ich habe es meinen Mitarbeitern eingeschärft, dass bei diesem Fall unter gar keinen Umständen etwas an die große Glocke gehängt werden darf. Uns geht es im Augenblick darum, die Möglichkeit auszuschließen, dass Schüler dieser Schule mit dem Feuer gespielt haben.«
»Was wollt ihr denn wissen?«, fragte der Schulleiter. »Ich habe hier die Personalakte von Halldór. Er war einer der ersten Lehrer an dieser Schule. Kam aus Südisland nach Reykjavík, er war vorher Lehrer in Hvolsvöllur gewesen. Hier an der Schule hat er fast fünfunddreißig Jahre unterrichtet. Eigentlich hätte er erst nächstes Jahr in Pension gehen müssen. In vielerlei Hinsicht war er durchaus ein vorbildlicher Lehrer, vor allem wohl in seinen jüngeren Jahren. Innerhalb des Lehrerkollegiums hielt er sich immer abseits und hatte kaum Freunde. Jóakim, unser ehemaliger Mathematiklehrer, war wahrscheinlich derjenige, der ihn am besten gekannt hat, aber der ist im vorigen Jahr gestorben. Hier bitte, ihr könnt die Personalakte einsehen, aber ich muss sie wiederbekommen.« Er reichte Erlendur den Ordner.
»Du hast erwähnt, dass es Probleme gab. Hing das vielleicht mit der Spuckerei zusammen?«, fragte Sigurður Óli.
Kristinn ließ seine Blicke langsam zu Sigurður Óli wandern, der mit gerunzelter Stirn dasaß.
»Das hatte meiner Meinung nach nichts mit Halldór persönlich zu tun«, sagte er schließlich. »So etwas kann an jeder Schule passieren«, fügte er hinzu. »Es gab Zeiten, da war es sogar noch viel schlimmer. Lehrer altern in ihrem Beruf und kommen in die Jahre. Als wir noch die Sonderklassen mit den schlechtesten Schülern hatten, und das ist gar nicht mal so lange her, wurden solche Klassen immer den ältesten Lehrern zugeteilt, und die haben oft eine ganze Menge einstecken müssen, wenn sie sich eine Blöße gaben. Die Schule hat sie ausgegrenzt, sowohl die schlechten Schüler als auch die alten Lehrer. Jeder wollte sie los sein. Die Kinder haben genau die Schwächen der Lehrer gespürt und sind oft schlimm mit ihnen umgesprungen. Nachdem die Klassen wieder gemischt wurden, besserte sich die Situation. Die Sonderklassen existierten nicht mehr, aber trotzdem hatten die älteren Lehrer oft Probleme, manchmal sogar sehr gravierende. Sie haben nämlich den Anschluss an die neueste Didaktik und Methodik verpasst und womöglich noch nach Richtlinien unterrichtet, die zu Anfang ihrer Lehrerlaufbahn galten. Sie hatten schon lange den Zugang zu den Kindern verloren.«
»Und zu diesen Lehrern gehörte Halldór«, warf Erlendur ein.
»Er war sogar einer der schlimmsten Fälle. Als Lehrer völlig unbrauchbar, obwohl ich nicht schlecht über einen Toten reden möchte. Seit drei Jahren habe ich immer wieder versucht, ihn dazu zu bringen, sich vorzeitig pensionieren zu lassen. Das wollte er nicht. Halldór war früher kein schlechter Lehrer, das habe ich vorhin schon versucht zu sagen, aber mit den Jahren verlor er die Kontrolle. Das Wohl der Schüler lag ihm aber immer am Herzen, dessen bin ich mir ganz sicher. Das habe ich gespürt, wenn ich mich mit ihm unterhalten habe.«
»Aber sie haben ihn fertig gemacht.«
»Das haben sie getan. Das Schlimmste war das Bespucken hier auf dem Schulhof. Es ist wahrscheinlich ungefähr ein Jahr her. Man hört nur selten etwas darüber, dass Lehrer gedemütigt werden, normalerweise betrifft das eher die Schüler, und das ist eine furchtbare Sache. Aber Lehrer können auch die Opfer sein. Hier in Island gibt es keine diesbezüglichen Erhebungen, aber in Norwegen ist die Rede davon, dass bis zu zehn Prozent der Lehrer attackiert werden. Ich glaube nicht, dass die Zahl hierzulande viel niedriger liegt.«
»Entschuldige, wie alt sind diese Kinder eigentlich?«
»Halldór unterrichtete die achte Jahrgangsstufe, die Mädchen und Jungen sind zwölf,
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