Menschensoehne
nach vorsätzlich − und der Mord war extrem brutal. Darüber hinaus befand sich der Mörder noch auf freiem Fuß. Mörder gab es in Island ausgesprochen wenige, und sie wurden in der Regel schnell gefasst, denn Morde wurden nicht kaltblütig geplant, sondern passierten irgendwie eher rein zufällig oder in einem Anfall von Raserei. Vor einem Vergnügungslokal lieferten sich Betrunkene eine Messerstecherei, bei der jemand zu Tode kam, aus einem x-beliebigen Haus wurde ein Gewehr abgefeuert und eine simple Ermittlung wurde eingeleitet. Der Täter wurde festgenommen und eingebuchtet. Meist hatte man so viele Zeugen, dass genau das schon wieder ein Problem darstellte. Bei der Kriminalpolizei gab es keine spezielle Mordkommission, weil es keinen Bedarf dafür zu geben schien. Und die technische Ausrüstung zur Ermittlung in Mordfällen war sozusagen vorsintflutlich. Fälle, in denen Menschen auf unerklärliche Weise verschwanden, traten immer häufiger auf, was auf die zunehmende Härte in der Drogenszene zurückgeführt wurde.
Diesmal hatten sich ungewöhnlich viele Mitarbeiter zur morgendlichen Besprechung eingefunden, und man hatte den Eindruck, als sei das gesamte Personal anwesend. Es waren auch diejenigen Kollegen erschienen, die nicht direkt mit polizeilichen Ermittlungen befasst waren. Erlendur fand das nicht in Ordnung, enthielt sich aber jeglichen Kommentars. Die Leute saßen gedrängt im Sitzungsraum und lauschten aufmerksam Erlendurs Ausführungen. Auch die Kollegen vom Rauschgiftdezernat waren dabei. So wurde es jetzt bei allen größeren Fällen gehandhabt, denn Drogen waren eigentlich immer im Spiel. Drei Tage waren vergangen, seit Halldór Svavarsson in den verkohlten Resten seines Hauses gefunden worden war, und die Umstände deuteten darauf hin, dass er mitsamt dem Haus in Brand gesteckt worden war. Sonst wusste man kaum etwas, erklärte Erlendur, denn die Ermittlungen befanden sich ja noch im Anfangsstadium. Erlendur war mit der Leitung dieses Falles beauftragt worden, für den so viele Leute abgestellt werden sollten, wie er für erforderlich hielt. Dieser Fall besaß oberste Priorität. Erlendur stand am Ende des Raums, und auf dem Schaubrett hinter ihm befand sich der Grundriss des Hauses, in den der Fundort von Halldórs Leiche eingezeichnet worden war, außerdem einige Aufnahmen vom Tatort. Erlendur hatte den vorläufigen Bericht der Spurensicherung überflogen, den er kurz vor der Besprechung erhalten hatte.
»Was wir bislang wissen, ist Folgendes: Der Volksschullehrer Halldór Svavarsson wurde in seinem Haus am Urðarstígur 89 am Abend des sechzehnten Januar auf seinem Stuhl festgebunden, mit Benzin übergossen und anschließend angezündet. Auf dem Grundstück lag ein Benzinkanister, auf dem man aber keine Fingerabdrücke gefunden hat. Das Holzhaus hat im Handumdrehen in Flammen gestanden. Von Halldór blieb nur das Skelett übrig, und wir konnten mit Hilfe der zahnärztlichen Kartei die Identifizierung vornehmen.«
»Er hatte denselben Zahnarzt wie der Schulleiter an seiner Schule, deswegen kamen wir so schnell an die Kartei heran. Diese bestätigte dann, dass es sich bei dem Skelett um den eingetragenen Besitzer des Hauses handelte«, fügte Sigurður Óli erklärend hinzu. Statt wir hätte er genauso gut ich sagen können. Sigurður Óli muss sich mal wieder wichtig machen, dachten die Anwesenden. Der Einwurf interessierte niemanden, und die Aufmerksamkeit der Anwesenden lag weiterhin bei Erlendur.
»Darf ich jetzt fortfahren?«, fragte Erlendur und blickte seinen Kollegen an.
»Ja, Entschuldigung«, sagte Sigurður Óli.
»Halldór war ledig. Er hatte keine Kinder, soweit wir wissen. Er hat eine Halbschwester, die wir bereits vernommen haben, mit der wir uns aber noch ausführlicher unterhalten müssen. Er hat seit vielen Jahrzehnten in diesem Haus gelebt, genauer gesagt seit der Zeit, als er in Reykjavík zu unterrichten begann. Er scheint nicht viele Freunde gehabt zu haben. Er hat fünfunddreißig Jahre lang ununterbrochen an der Víðigerði-Schule unterrichtet. Wir müssen noch den dortigen Schulleiter und den anderen Kollegen von Halldór sprechen, denn allem Anschein nach hat es Zwischenfälle mit den Schülern gegeben, aber das muss noch untersucht werden. Der Obduktionsbericht ist nicht sehr ergiebig. Halldór ist wahrscheinlich im Feuer umgekommen und war noch nicht tot, als das Feuer ausbrach. Der Schädel war unversehrt. Das Seil, mit dem seine Hände und Füße
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