Menschensoehne
standen alle auf. ›Verpisst euch‹, sagte er. Sie schauten die ganze Zeit das Mädchen mit der Katze an, die sah echt brutal aus, wie sie da so kaltschnäuzig die tote Katze hielt, als ginge sie das Ganze überhaupt nichts an.
›Das wär ja noch schöner. Los, her mit den Cornflakes‹, sagte der Anführer.
›Wenn euch dieser Keller gehört‹, sagte ein anderer, ›dann seid ihr womöglich stinkreich.‹
Sie waren mindestens einen Kopf größer als wir und viel kräftiger, mit denen konnten wir es nicht aufnehmen. Und sie waren bewaffnet. Mit selbst gebastelten Bögen und Pfeilen und Knüppeln. Deren Pfeile waren aus Holz geschnitzt und messerscharf. Das waren primitive Waffen, aber sie konnten uns gemeingefährlich sein.
›Warum stehst du nicht auch auf?‹, fragte das Mädchen Aggi, der als Einziger noch auf dem Boden saß. Sie machte urplötzlich einen Satz auf ihn zu und trat ihm voll ins Gesicht. Aggi fiel um und knallte mit dem Kopf auf den Betonfußboden. Das Blut schoss ihm nur so aus dem Mund heraus, und der eine Vorderzahn flog in die Ecke.
›Haut gefälligst ab!‹, schrie Skari Skandal die Truppe an. Daníel hielt Pálmi fest bei der Hand. Die Typen rührten sich nicht vom Fleck.
›Verpisst euch!‹
Aggi lag blutend auf dem Boden und rührte sich nicht.
›Wir sind zufälligerweise auf der Suche nach geeigneten Räumen zum Trainieren‹, sagte der Anführer. ›Uns fehlt aber noch was, wo wir drauf zielen können. Die Katze war prima als Zielscheibe, aber sie krepierte nicht ganz so, wie wir wollten.‹ Das Mädchen grinste. Der Anführer trat dicht an Kiddi Kolke heran, der aber nicht zurückwich.
›Wie wär’s, dich an die Wand zu hängen, du hässlicher Pimpf? Mal sehen, ob wir es nicht schaffen, deine Visage zu treffen‹, erklärte er, und er und zwei andere packten Kiddi. Die anderen verhinderten, dass wir ihm zu Hilfe kommen konnten. Kiddi Kolke kämpfte, aber sie überwältigten ihn und banden ihn mit den Händen über dem Kopf und gespreizten Beinen an den rostigen Eisenstangen fest. Das Mädchen ging hin und fuchtelte mit der Katze vor ihm herum. Dann stellten sie sich auf und spannten ihre Bögen. Sie wollten Kiddi allen Ernstes als Zielscheibe benutzen.
›Wie sieht’s denn aus, ihr lieben Kleinen, habt ihr schon mal probiert zu vögeln?‹, fragte der Anführer und zielte in den Schritt von Kiddi Kolke. Der Pfeil zischte los, Kiddi schrie und wir Jungs mit ihm. Das Geschoss ging haarscharf an seinem Oberschenkel vorbei und zerbrach an der Wand.
›Jetzt reicht’s aber, ihr Arschlöcher‹, rief Daníel. Pálmi hatte angefangen zu weinen.
›Lasst uns in Ruhe! Ihr bringt ihn ja um!‹, schrien wir und versuchten zu kämpfen, aber gegen diese feindliche Truppe konnten wir nichts ausrichten, wir hatten keine Chance. Aggi lag noch immer mit blutüberströmtem Gesicht am Boden. Ein zweiter Junge stellte sich auf und zielte auf Kiddi Kolke. Der Pfeil zischte los und landete knapp oberhalb von Kiddis Schulter an der Wand. Kiddi hing an den Eisenstangen und brüllte entsetzlich.
Der dritte ging in Position. Er spielte mit dem gespannten Bogen. Das war ein Täuschungsmanöver, um nicht zu verraten, worauf er zielte. Wir blickten gebannt auf die Pfeilspitze in seiner Faust, die er kreisen ließ − nach oben, unten, links und rechts. Kiddi hatte aufgehört zu brüllen und starrte auf sein Gegenüber. Er hatte sich die Handgelenke an den rostigen Stangen blutig gescheuert. Wir waren ebenfalls verstummt. Der Junge hörte auf, den Bogen kreisen zu lassen, zielte kurz und schoss. Man hörte den Pfeil zischen, bevor er Kiddi traf. Der Pfeil war direkt aufs Gesicht gerichtet worden, aber bevor er auftraf, gelang es Kiddi, sich zu drehen und den Kopf ein wenig anzuheben; der Pfeil streifte die Nase und ging von da ins rechte Auge, wo er stecken blieb.
Das Gebrüll, das Kiddi ausstieß, schien endlich zu bewirken, dass die Bande zur Besinnung kam. Die Typen erschraken sichtlich, glotzten sich an und machten sich aus dem Staub. Das Mädchen ließ die Katze fallen, und mit einem Mal war die Bande wie vom Erdboden verschluckt. Kiddi hing ohnmächtig an der Wand. Als er das Bewusstsein verlor, sank der Kopf auf die Brust herunter, der Pfeil lockerte sich und fiel runter. So hat er sein Auge verloren«, sagte Sigmar und starrte vor sich hin. »Sie haben es ihm rausgeschossen, und wir konnten nichts dagegen tun.«
Erlendur und Sigurður Óli saßen schweigend da und blickten Sigmar an.
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