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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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dass er sich daran gewöhnen müsse, mich regelmäßig zu besuchen. Er müsse mich kennen lernen, schließlich würde sie ja nicht ewig leben. Für sie kam es nicht in Frage, dass wir den Kontakt zueinander verlören. Aber Pálmi fühlte sich elend bei diesen Besuchen, und das tut er auch heute noch. Er erinnert mich manchmal an Papa. Sie sehen sich äußerlich überhaupt nicht ähnlich, aber sie haben diese gleiche Art von Distanz. Papa war ein freundlicher Mann, aber er wollte eigentlich nicht viel mit einem zu tun haben, außer, wenn er besoffen war. Aber er war gut zu Mama, und sie hat sehr gelitten, als er starb.
    HALLDÓR: Ich habe nie einen Vater gehabt.
    DANÍEL: Pálmi ist wie Papa, aber er trinkt nicht. Wahrscheinlich gibt es viele wie ihn. Pálmi hat es schwer gehabt. Sein Leben war beschissen.
    HALLDÓR: Das Unternehmen heißt Fentíaz.
    Schweigen .
    DANÍEL: Was für ein Unternehmen?
    HALLDÓR: Das diese Versuche mit eurer Klasse gemacht hat. Ich habe das herausgekriegt. Der Name wurde von den Deutschen übernommen und bezeichnet eine bestimmte Art von Medikamenten. Die Franzosen haben 1950 das erste Fentiaz-Produkt auf den Markt gebracht, das bei psychischen Störungen gute Erfolge zeigte. Du hast es wahrscheinlich auch bekommen. Das Mittel wird gegen gewisse Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen eingesetzt. Du bist aber wahrscheinlich andererseits davon abgestumpft und apathisch geworden.
    DANÍEL: Wenn ich mich so richtig in eine tiefe und angenehme Bewusstlosigkeit versetzen wollte, habe ich dieses Fentiaz-Zeug gesammelt. Ein verfluchtes Zeug, es ist das reinste Gift, aber eine Überdosis bringt einen nicht um, und es gibt wirklich kein besseres Schlafmittel.
    HALLDÓR: Sie wissen, dass ich alles über sie weiß. Eines Tages habe ich diesen rüpelhaften Menschen direkt vor der Firma angesprochen und habe damit gedroht, alles zu verraten, was ich wüsste. Er hat mich aber nur ausgelacht und gesagt, dass ich das wohl schon längst hätte machen können, wenn ich mich trauen würde. Er sagte, ich würde es nie wagen, weil ich so ein Jammerlappen wäre, und ich hätte sowieso nicht den geringsten Beitrag dazu geleistet, dass diese Versuche so gut gelaufen seien. Seitdem habe ich ihnen ab und zu gedroht, manchmal auch schriftlich, aber sie haben mich wahrscheinlich schon lange abgeschrieben. Es war ihnen völlig egal, was aus euch geworden ist. Ich habe mitverfolgt, wie die Firma wuchs und gedieh, und das sag ich dir, Daníel, heute ist es das größte Unternehmen in Island. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Wachstum in erster Linie eurer Klasse zu verdanken ist.
    Längeres Schweigen .
    DANÍEL: Willst du damit sagen, dass ich deswegen in dieser Klinik eingesperrt bin und mein ganzes Leben mit Psychopharmaka zugedröhnt und in die Zwangsjacke gesteckt wurde? Dass ich deswegen ein abgestumpftes, jämmerliches Wrack bin? Was für ein erhebender Gedanke. Nach all den Jahren kommst du daher und sagst mir, dass ich gar nicht schizophren wäre, wenn ich nicht diese kleinen, gezuckerten Kapseln bekommen hätte. Ich kann mich erinnern, dass ich ganz versessen darauf war, genau wie die anderen Jungs. Hast du eine Ahnung, wie es ist, mit dieser schwelenden Angst zu leben und nicht zu wissen, ob die Stimmen, die man hört, real oder eingebildet sind, wenn man grauenvolle Halluzinationen hat, die einen dazu bringen, dass man seinen Bruder umbringen will oder seine Mutter? Dass man ständig sich selbst umbringen will, aber sich nicht traut, das in die Tat umzusetzen? Unentwegt Medikamente zu kriegen, die einen so umnebeln, dass man sich wie ein kleiner Goldfisch vorkommt, der ewig in seinem Glas herumkreist? Mit der Zeit nehmen die Lebenskräfte ab, denn das Wasser hat keinen Sauerstoff, und irgendwann trudelt man tot an der Oberfläche. Ich würde mir lieber jeden Tag die Beine amputieren lassen, als das durchzumachen, was ich hier durchmache. Du sagst, dass ich ein normales Leben hätte leben können? Weißt du, wie sehr ich mich mein ganzes Leben lang danach gesehnt habe, ein normales Leben zu leben? Weißt du, was ich für einen einzigen normalen, gesunden Tag in meinem Leben geben würde? Ich sehe ihn in tausend Träumen vor mir. Möchtest du wissen, wie er ausschaut? Soll ich dir das erzählen? Zunächst mal habe ich eine Familie, ich habe eine Ehefrau, die morgens mit mir aufwacht. Ich habe drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen. Ich gehe zu ihnen und wecke sie und rede mit ihnen, während sie sich

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