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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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anziehen. Ich helfe ihnen, die Klamotten zusammenzusuchen. Ich weiß nicht, wo und wie ich wohne, aber meine Kinder schlafen alle in demselben Zimmer. So wollte ich es immer haben. An der Wand hängen Bilder, die sie gemalt haben. Es ist ein Sommertag, und wir gehen in die Küche. Wir werfen die Kaffeemaschine an, und die Kinder bekommen eine Kleinigkeit zu essen. Sie plappern irgendwelchen Unsinn. Dann unternehmen wir einen richtig schönen Ausflug im Auto und kaufen uns unterwegs Eis. Wir verlassen die Stadt und fahren aufs Land, und bei einem kleinen See machen wir Halt, und ich liege mit meiner Frau in der warmen Sonne, und wir hören, wie die Kinder unten am See plantschen. Das Kleinste fällt hin und tut sich weh, kommt weinend angerannt und wird von uns getröstet. Dann fahren wir wieder in die Stadt zurück und schauen bei Pálmi herein. Er wohnt in einem netten Vorstadtviertel, und wir verbringen den Rest des Tages miteinander. Wir reden über ganz belanglose Dinge, oder wir amüsieren uns über einen von unseren Freunden und lachen. Reden über den Urlaub im letzten Sommer und wohin wir dieses Jahr fahren wollen. Wir essen ausgiebig, und unsere Kinder spielen miteinander. Dann verabschieden wir uns, wir fahren nach Hause, denn es ist schon spät, und die Kinder gehen ins Bett. Meine Frau und ich, wir sitzen noch zusammen, und weil es Sommer ist, gibt es überhaupt keine richtige Nacht, sondern nur so ein anderes, milderes Licht.
    Schweigen .
    DANÍEL: So einen Tag. So einen ganz gewöhnlichen Tag.
    Schweigen .
    HALLDÓR: Das haben sie dir genommen. Und deiner Mutter. Und Pálmi.
    DANÍEL: Du auch, Halldór. Du hast es uns auch genommen. Wie hast du das über dich bringen können? Was für ein Mensch bist du eigentlich?
    HALLDÓR: O Gott, Daníel. Hätte ich gewusst, was diese Pillen euch antun, hätte ich vielleicht eingegriffen, aber damals wusste ich das nicht. Und die hatten mich in der Hand, diese Männer, die hatten mich völlig in ihrer Gewalt. Aber jetzt habe ich eine Lösung für mich gefunden, Daníel, eine Lösung, die ich mit dir bereden möchte.
    Schweigen .
    Pálmi saß und lauschte. Auf der Kassette kam nichts mehr, Halldór oder Daníel schienen ausgeschaltet zu haben. Er vergrub das Gesicht in den Händen, und im Geiste gingen ihm Daníels Worte wieder und wieder durch den Kopf. Jetzt begriff er endlich, was in Daníel vorgegangen war und wie er sich selbst gehasst hatte. Jetzt begriff er die Qualen seines Bruders, die sich mit Hilfe dieser winzigen Kassetten offenbarten, er verstand ihn besser als je zuvor bei all diesen Besuchen, die er auf sich genommen hatte. Es stellte sich heraus, dass sie sich beide, jeder auf seine Weise, nach dem Gleichen gesehnt hatten.
    Etwas später griff er nach der letzten Kassette und legte sie ein. Auf ihr war das letzte Zusammentreffen zwischen Halldór und Daníel mitgeschnitten.
    DANÍEL: Mama war eine richtige Leseratte, sie verschlang alle möglichen Bücher. Es machte ihr Spaß, laut vorzulesen, und das hat sie oft für Pálmi und mich getan. Das muss Pálmi wohl von ihr haben, denn er ist auch so ein Bücherwurm. Ich hab mal Mama gefragt, ob man Geld behalten dürfte, das man bei sich zu Hause findet. Sie war völlig perplex, schaute fragend von ihrem Buch auf. Kiddi Kolke hatte zu Hause bei sich einen Tausendkronenschein gefunden und für uns alle Süßigkeiten gekauft. Als wir ihn abends zum Spielen abholen wollten, durfte er nicht raus, und wir hörten, wie sein Vater ihn verprügelt hat, das haben wir unten auf dem Bürgersteig gehört. Man darf Kinder nicht schlagen, sagte Mama. Egal, was sie anstellen. Sie sagte, dass Kiddi Kolke nicht gewusst hätte, dass er das Geld nicht nehmen durfte. Er sei überhaupt kein schlechter Junge, er hätte doch bloß nett zu uns sein wollen.
    Schweigen .
    DANÍEL: Dann las sie weiter aus ihrem Buch vor. Es war Moby Dick, über Kapitän Ahab und den weißen Wal, den er hasste, und an Bord waren Walfänger aus aller Herren Länder. Ein Isländer war auch dabei, hast du das gewusst? HALLDÓR: Nein.
    DANÍEL: Ich fragte Mama, was er dort machte, und sie antwortete nur: Isländer fangen Wale. Dann holte ich meinen Schuhkarton mit den Bildern von bekannten Schauspielern und schaute sie mir an, während Mama las. Das waren Porträtfotos aus den Studios in Hollywood, die mich total faszinierten. Ich nahm mir einen Stapel nach dem anderen vor und ging ihn durch. Ich hab mich immer für Filme interessiert, und weil wir zu

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