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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Hause nie Geld hatten, habe ich mich manchmal mit meinen Freunden ins Kino reingeschummelt. Das war nicht einfach, aber manchmal hat’s geklappt. Einige Schauspieler auf den Bildern hatte ich schon mal in einem Film gesehen, andere sagten mir gar nichts. Aber ich erinnere mich genau an den Schauspieler, den ich mir an diesem Abend anschaute, denn das war so ein unglaublicher Zufall. Er hatte eine schlankes Gesicht und unter dem Foto stand: Gregory Peck. Er erinnerte mich an Papa. Erst viel später habe ich herausgefunden, dass er den Kapitän Ahab gespielt hat.
    Schweigen .
    DANÍEL: Das war der Abend, als der Anruf kam. Pálmi war noch ein Baby und schlief im Schlafzimmer unserer Eltern. Ich war in meinem Zimmer. Mama saß im Wohnzimmer und las in diesem dicken Buch. Papa war zur See. Ich lag im Bett und konnte nicht einschlafen. Das kam oft vor, ich brauchte nicht viel Schlaf, und meistens ging ich ins Wohnzimmer zu Mama, wenn ich nicht schlafen konnte, und saß bei ihr und hörte ihr beim Vorlesen zu. Bei uns klingelte sehr selten das Telefon, deswegen schreckten wir beide hoch. Wir schauten einander an, Mama stand langsam auf und ging zum Apparat. Es war der Besitzer der Reederei. Papa war vermisst. Er war an Deck gewesen, als eine Sturzsee über das Schiff hereinbrach, und er war über Bord gegangen. Der Mann sprach Mama sein Beileid aus und versprach, sich wieder zu melden, wenn er mehr in Erfahrung gebracht hätte.
    Mama stand eine Weile an dem Tischchen, auf dem sich das Telefon befand, drehte sich dann zu mir um und sagte, ich solle schlafen gehen. Sie wollte mir das mit Papa nicht vor dem Schlafengehen erzählen, sondern lieber bis zum nächsten Morgen damit warten. Ich merkte zwar, dass etwas nicht stimmte, ging aber trotzdem in mein Zimmer. Nachdem ich lange dagelegen, mich herumgewälzt und in die Dunkelheit hinausgestarrt hatte, stand ich wieder auf und ging ins Wohnzimmer. Sie saß am Esstisch, hatte das Gesicht in den Händen vergraben, und ich konnte ihr leises Schluchzen hören. Ich ging zu Mama, stand neben ihr und spürte, dass sie auf einmal furchtbar einsam war.
    Schweigen .
    HALLDÓR: Die Pillen habe ich euch in dem Winter gegeben, als ihr in der letzten Klasse wart. Außerdem kamen Krankenschwestern mit Nadeln und Spritzen und haben euch Blutproben entnommen. Das haben sie in dem kleinen Krankenzimmer am Ende des Schulflurs gemacht, direkt neben unserem Klassenzimmer, du kannst dich bestimmt daran erinnern. Ich habe sie nie zu Gesicht bekommen und durfte keinen Kontakt mit ihnen aufnehmen. Mir wurde mitgeteilt, wann sie zu erwarten waren, und dann hatte ich euch einen nach dem anderen zu ihnen in das Zimmer zu schicken. Alle zwei Monate kamen sie klammheimlich in die Schule, wenn der Unterricht in vollem Gange war, und niemand hat das mitbekommen, denn in das Krankenzimmer hat sich sonst nie jemand verirrt. Falls sie mal daneben gestochen haben und ein Bluterguss entstand, interessierten sich die wenigsten Eltern dafür, wie der zustande gekommen war. Sie waren froh über sämtlichen medizinischen Beistand, der kostenlos zu haben war. Die Krankenschwestern hatten euch in ungefähr zehn Minuten abgefertigt und verschwanden dann wieder, ohne dass jemand ihrer gewahr wurde. Die Gefahr, dass sie gesehen wurden, war ja nicht sonderlich groß. In der Schule lief alles nach sehr strengen Regeln, niemand durfte sich auf den Gängen herumtreiben, wenn es geschellt hatte. Es war mehr als unwahrscheinlich, dass ein und dieselbe Person zweimal die gleiche Krankenschwester zu Gesicht bekommen konnte. Deswegen glaube ich bestimmt, dass es zwei gewesen sind, die diese Schulbesuche unter sich aufteilten. Ihr wart nicht sehr begeistert über diese Besuche, aber ihr habt immer Süßigkeiten von ihnen bekommen, daran kannst du dich bestimmt erinnern. Es durfte natürlich nicht so viel sein, dass es einem bei euch zu Hause oder den Mädchen in der Klasse auffiel, aber auch nicht zu wenig, damit ihr euch nicht beschwert habt. Schokolade war genau das Richtige. Die hattet ihr bereits verputzt, als ihr wieder in die Klasse zurückkamt. In diesem Alter vergessen Kinder schnell. Wenn ihr wiederkamt, war es, als sei gar nichts Außergewöhnliches geschehen. Zu Hause bei euch schöpfte auch niemand Verdacht. Krankenschwestern, Spritzen, Tuberkulosetests und Impfungen, das wurde alles in dieselbe Schublade eingeordnet. Ich hatte zwei Gläser von diesen Lebertranpillen im Lehrerpult eingeschlossen. Die habe ich in der

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