Menschensoehne
Bauch geschrieben hat?«
»Was?«, fragte Erlendur.
»Fentiaz.«
»Sigmar hat möglicherweise alles herausgefunden. Aber wie?«
Erlendur und Sigurður Óli verbrachten den Rest des Tages damit, Nachforschungen anzustellen, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen durften. Am Abend hatten sie diverse Informationen über Sævar Kreutz und Fentiaz in den Händen.
Dreiunddreißig
»Die Polizei hat Guðrún ausfindig gemacht«, berichtete abends die Stimme am Telefon. »Ich hab dir ja gesagt, dass wir ihretwegen Maßnahmen ergreifen müssen. Das habe ich dir die ganze Zeit gesagt.«
»Ich ergreife keine ›Maßnahmen‹ wegen Guðrún. Und dieser Ton gefällt mir nicht. Sie war die beste Freundin meiner Schwester Rannveig und hat sich während ihrer Krankheit rührend um sie gekümmert. Viel eher würde ich deinetwegen Maßnahmen ergreifen wollen als ihretwegen. Du redest wie im Action-Film. Maßnahmen ergreifen!«
»Was sollen wir dann machen?«
»Guðrún ist eine alte Frau. Und sie ist die einzige Zeugin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sie wirklich ernst nimmt. Sie haben nichts in der Hand, was ihre Aussage stützt.«
»Vielleicht. Sigmar scheint nichts über die Verbindung zu uns gewusst zu haben. Zumindest ist bei den Vernehmungen nichts herausgekommen. Zum Glück hat er Selbstmord begangen, während er in Polizeigewahrsam war. Er war der Letzte. Wir haben sämtliche alten Unterlagen, die mit diesem Projekt zu tun hatten, vernichtet. Es gibt nirgendwo auch nur den geringsten Hinweis darauf. Der einzige Unsicherheitsfaktor sind die Kassetten, die Halldór angeblich aufgenommen hat, aber ich glaube ja, dass sie eine pure Erfindung sind. Er war nicht Manns genug, sich mit uns anzulegen. Das waren alles bloß leere Drohungen.«
»Die Polizei hat nicht viel in der Hand. Sie sucht in erster Linie nach Halldórs Mörder, und damit haben wir nicht das Geringste zu tun. Vielleicht solltest du mal einfließen lassen, dass die Polizei sich in erster Linie auf den Mord an Halldór konzentrieren sollte, statt sich um irgendwelches Altweibergeschwätz zu kümmern. Und dass Sigmar höchstwahrscheinlich sein Mörder ist.«
»Die Koreaner treffen morgen ein.«
»Ich habe ja gesagt, dass sie hierher kommen würden.«
»Da ist aber noch was.«
»Ja.«
»Er ist verschwunden.«
»Wer?«
»Unser Mann. Er hat das mit den Kassetten für uns erledigen sollen, aber er hat zur vereinbarten Zeit nichts abgeliefert. Über die normalen Kanäle habe ich ihn noch nicht ausfindig machen können.«
Vierunddreißeig
Pálmi wollte ihm tausend Fragen stellen, wusste aber nicht, wo er anfangen sollte.
Kiddi Kolke saß vor ihm, es war, als sei er aus einem längst in Vergessenheit geratenen Grab auferstanden. Er war aus der Vorzeit aufgetaucht und verfügte über die Antworten auf all die Fragen, die Pálmi auf der Seele brannten. Er wusste über sein eigenes und Daníels Leben Bescheid, über die Klassenkameraden und Halldór. Er war über alles informiert und kannte alle Zusammenhänge. Er konnte Sigmars Aussage bestätigen. Kiddi Kolke war bei all diesen Ereignissen dabei gewesen, die ihm im Augenblick so auf der Seele brannten. Aber das Einzige, was Pálmi herausbrachte, war:
»Ich kapier das nicht.«
»Alle haben immer gesagt, ich sei ein Umglücksrabe, aber jetzt bin nur noch ich am Leben und habe kaum eine Schramme davongetragen.« Er setzte sich das Auge wieder ein, und Pálmi war erleichtert, als er damit fertig war. Es war ihm völlig entgangen, dass Jóhann – oder Kiddi Kolke – ein Glasauge hatte. Es stimmte, was Kiddi gesagt hatte, er sah den Leuten nie in die Augen, wenn er mit ihnen sprach. Aber jetzt konnte er seine Blicke kaum von dem Glasauge abwenden.
»Kein schlechtes Auge«, sagte Kiddi Kolke. »Du bist einer von denen, die es überhaupt nicht gemerkt haben.«
»Wie hast du dich die ganzen Jahre so verstecken können?«, fragte Pálmi, als die erste Welle der Angst und des ungläubigen Staunens verebbt war.
»Das war erstaunlich einfach.«
»Hast du Halldór umgebracht?«
»Es ist falsch, das einen Mord zu nennen. Es war Selbstmord, aber er hatte, wie du selbst gehört hast, um eine kleine Hilfeleistung gebeten. Sein Tod trat ganz genau so ein, wie er es geplant hatte, und das beweisen die Kassetten, die er dir geschickt hat.«
»Du hast Halldór gehasst wegen dem, was er dir und deinen Freunden angetan hat, nicht wahr? Und ihn ermordet.«
»Ich habe ihn gehasst, ja, aber ich hatte auch
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