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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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es keine Fotos, auf denen ich sie hätte identifizieren können. Ich habe eine Reihe von Krankenhäuser aufgesucht, konnte aber nirgends eine Spur von ihnen entdecken. Aus dem Nationalkrankenhaus hat man mich zum Schluss rausgeworfen, nachdem ich drei Tage lang durch die Gänge geirrt war. Alles, was ich tat, trug ungewollt dazu bei, auf mich aufmerksam zu machen. Kurze Zeit später habe ich Halldór zu Hause besucht, in seiner Höhle. Da drinnen war dieser furchtbare Gestank, genau wie Daníel ihn beschrieben hat.«
    Er hielt kurz inne und schaute Pálmi an.
    »Du weißt, dass Danni ihm damals nur mit knapper Not entkommen ist. Als ich ihn besuchte, gammelte der Kerl immer noch in seiner Einsamkeit vor sich hin. Zuerst wollte er gar nichts sagen. Ich musste dreimal hingehen, und erst beim dritten Mal hat er irgendwelche Andeutungen gemacht und fing an, über Hvolsvöllur zu erzählen, was ich überhaupt nicht kapierte. Und dass sie ihn deswegen unter Druck gesetzt hatten. Mehr hat er mir nicht erzählt. Als ich abends nach Hause kam, wurde ich überfallen.«
    Pálmi starrte auf das Glasauge und lauschte schweigend. »Damals hatte ich eine kleine Wohnung auf der Njarðargata gemietet, ebenfalls im Keller. Als ich eines Abends von der Arbeit nach Hause kam, fand ich zwei ungebetene Gäste vor. Sie hatten alles, was ich besaß, kurz und klein geschlagen und warteten jetzt auf mich. Sie sind gleich an der Tür über mich hergefallen, und ich habe ihre Gesichter erst gesehen, als ich wieder zur Besinnung kam. Da waren sie mit mir nach Keflavík zu einer abgelegenen Mole gefahren. Sie redeten und lachten darüber, dass hier in Island dauernd Leute verschwinden und kein Hahn danach kräht. Damit hatten sie natürlich Recht. Wir sind daran gewöhnt, dass Leute sich im Nebel in den Bergen verirren, in einem See ertrinken und nie wieder auftauchen oder über Bord gehen. Ich war für jemanden gefährlich geworden, und jetzt ging es darum, mich verschwinden zu lassen. Sie trugen mich in ein Boot und fuhren im Dunkeln mit mir aufs Meer und warfen mich über Bord. Unterwegs sprachen sie miteinander, und es hörte sich so an, als wüssten sie alles über die Meeresströmungen vor der Reykjanes-Halbinsel. Sie amüsierten sich köstlich bei dem Gedanken, dass ich wahrscheinlich in Grönland angetrieben werden würde. Aus irgendwelchen Gründen fuhren sie aber nicht besonders weit mit mir hinaus, und ich war auch nicht gefesselt, als sie mich über Bord warfen. Irgendwie war das alles so halbherzig gemacht, vielleicht wollten sie mir ja nur einen gehörigen Schreck einjagen. Das ist ihnen gelungen. Als ich wieder an die Oberfläche kam, war das Boot weg. Ich habe es geschafft, an Land zu schwimmen und war durchnässt und völlig unterkühlt, als mich Soldaten der amerikanischen Marine fanden und mich ins Militärkrankenhaus auf der Basis brachten. Dort erholte ich mich überraschend schnell. Danach fasste ich den Beschluss, unterzutauchen.«
    »Aber ist es denn überhaupt möglich, in Reykjavík unterzutauchen?«, fragte Pálmi. »Selbst wenn man einen neuen Namen annimmt, es gibt doch immer irgendwelche Leute, die einen wiedererkennen.«
    »Das war überhaupt kein Problem. Ich habe so gut wie keine Familie. Meine Eltern habe ich seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen. Ich weiß nur, dass sie sich da oben in Akureyri immer noch mit ihren Alkoholproblemen herumschlagen. Ich war damals mit ihnen nach Akureyri gezogen und habe dort einige Jahre gelebt, aber das war kein Vergnügen. Mama ist nie eine vorbildliche Mutter gewesen, und mein Vater prügelte sie in regelmäßigen Abständen, er schien nach einem System vorzugehen. Außer Danni und Sigmar hatte ich keine Freunde oder Bekannte. Darin habe ich nämlich große Ähnlichkeit mit Halldór, ich bin genauso ein Einzelgänger wie er und nicht gesellig. Wenn man sich bedeckt hält, wird man überhaupt nicht wahrgenommen. Man lässt sich einfach so wenig wie möglich in der Öffentlichkeit blicken. Nach diesem Überfall war ich drei Jahre in Dänemark. Ich bin richtiggehend geflüchtet und habe danach nur noch den Namen Jóhann verwendet, weil ich Kristján Jóhann getauft wurde. Als ich wieder nach Island zurückkam, habe ich mich um eine Stelle an der Klinik bemüht, um in Dannis Nähe sein zu können. Dorthin habe ich mich zurückgezogen und bin manchmal wochenlang nicht nach Hause gegangen, sondern einfach nur in der Klinik geblieben und habe da geschlafen. Morgens tat ich dann immer

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