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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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die Erde gerammt. Wir haben schnell gelernt, niedrige und scharfe Pässe zu spielen und knallhart zu verwandeln.
    Als wir schließlich keine Lust mehr hatten, Fußball zu spielen, legten wir uns bei einem kleinen Tümpel ganz in der Nähe hin und schlürften etwas von dem Wasser, das an einer Stelle einigermaßen klar und sauber war. Morgens hatte es einen heftigen Schauer gegeben, und dadurch war der Tümpel größer als sonst. Mittendrin war ein Steinklotz, den man aus irgendeiner Baugrube geholt und da aufgetürmt hatte. Aggi saß oben auf dem Stein und ließ die Füße ins Wasser baumeln. ›Fühlt mal mein Herz‹, sagte Danni. ›Bestimmt ne Million Schläge pro Minute.‹
    Wir fühlten gegenseitig, wie unsere Herzen klopften. Ich steckte mir eine Zigarette an und ließ sie die Runde drehen. Ich zündete noch eine an. Wir hatten alle im Frühjahr angefangen zu rauchen, um die gleiche Zeit ging es auch mit dem Alkohol los. An Schnaps und Zigaretten war zu Hause bei uns leicht ranzukommen, und im Handumdrehn waren die Jungs dem Alkohol verfallen. Es fing natürlich harmlos an, aber die Mengen, die sie konsumierten, steigerten sich rasch.
    Daníel hatte uns alles über seine Begegnung mit Halldór erzählt, bereute es aber hinterher. Dein Bruder hatte das Gefühl, dass Halldór ein Mann war, über den man nicht lachen durfte, das fand er unpassend. Und außerdem war er sich nicht ganz im Klaren über seine Gefühle gegenüber Halldór. Er fand ihn zwar widerwärtig, hatte aber gleichzeitig auch Mitleid mit ihm. Am liebsten hätte er den Mann und alles, was mit ihm zusammenhing, so schnell wie möglich vergessen, aber wir haben ihn ständig daran erinnert, wie er halb nackt aus dem Haus gerannt kam. Wir wollten die Story immer wieder hören. ›So ein perverser Typ‹, sagten wir und lachten wie die Idioten. ›Was für ein Arschloch‹, sagte Skari Skandal. ›Man hat überhaupt nichts davon gemerkt, als er uns unterrichtete.‹
    Danni wollte nicht mehr über Halldór reden, und irgendjemand schlug vor, ins Kino zu gehen. Aggi tat so, als hätte er ein Maschinengewehr in der Hand, und ballerte auf den Feind los. ›Ja, los, lass uns einen Kriegsfilm angucken.‹ Und dann traf ihn selber ein Schuss und er fiel tot um. Das glaubten wir zumindest.
    Wir haben später oft darüber gesprochen, wie Aggi gestorben ist, und das war immer so, als würden wir einen berühmten Film angucken, in dem Aggi aus unerfindlichen Gründen die Hauptrolle spielte und da oben auf dem Stein einen glorreichen Heldentod starb.
    Manchmal lief der Film langsam ab, und wir sahen, wie er sich an die Brust fasste und sich zusammenkrümmte. Sein Gesicht verzerrte sich, so, als würde er tatsächlich sterben. Aber er konnte doch nicht sterben, er war ja gerade erst dreizehn Jahre alt geworden, und mit dreizehn stirbt man nicht. Deswegen spielte er nur in einem Film mit, einem Stummfilm, der in Zeitlupe abgespult wurde.
    Aggi griff sich an die Brust, beugte sich vor und starrte uns fassunglos an, und dann stürzte er vom Stein runter in den Tümpel. Da wir noch nie eine so eindrucksvolle Sterbeszene gesehen hatten, schrien und klatschten wir heftig Beifall, als er in dem gelben Tümpel lag und sich nicht mehr rührte. Es verging eine ganze Zeit, bis die Begeisterungsschreie verebbten. Wir riefen Aggi zu, es würde nun reichen, aber der reagierte nicht, sondern lag regungslos auf dem Bauch im Wasser. Schließlich wateten Danni und ich zu ihm hin, drehten ihn um, und dann merkten wir, dass hier etwas schief gelaufen war. Er starrte uns mit offenen Augen an, aus denen das dreckige Wasser lief.
    Wir zogen ihn aufs Trockene, legten ihn auf den Boden und standen um ihn herum. Keiner von uns wusste, was da abgelaufen war. Wir glaubten immer noch daran, dass er jetzt mit der Schauspielerei aufhören und aufstehen und uns eine Grimasse schneiden würde. Aber nichts dergleichen geschah, Aggi lag im Gras bei dem Tümpel, starrte zum wolkenlosen Himmel hinauf und rührte sich nicht. ›Ist er tot?‹, stöhnte Danni endlich und fing an zu heulen. ›Wie konnte das passieren?‹
    Danni und ich fuhren im Krankenwagen mit und standen auf dem Korridor im Krankenhaus, als Aggis Mutter kam. Sie konnte gar nicht fassen, was passiert war. ›Was für ein verdammter Schwachsinn! Wie kann mein Kind an einem Herzanfall sterben? Du hast sie wohl nicht alle‹, sagte sie zu dem Arzt. ›Agnars Herz ist völlig in Ordnung gewesen. Komm mir bloß nicht mit so einem dummen

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