Menschenteufel
sich
zusammenfiel, dachte Freund. Resignierend schloss er die Augen. Alles wurde
ruhig. In ihm war nichts mehr, was sich aufregen konnte. Finger und Zehen
wurden eiskalt. Langsam kroch der Frost die Glieder hoch.
Niemand würde ihnen helfen. Sie waren ganz auf sich allein gestellt.
Gegen zwei bewaffnete Berserker lagen sie da, verpackt, nackt,
unfähig, sich zu bewegen, wehrlos, unbewaffnet. Ohne jede Chance. Woher waren
die beiden gekommen?
In Freunds Bewusstsein drängten sich Bilder des Weingartenhüttchens.
Claudia lag in einem Deckchair. Auf der Hollywoodschaukel hörte sein Vater mit
dem Discman Opern. Die Kinder kamen johlend aus dem Bad nach Hause. Ganz tief
drinnen in seiner kalten Hülle zündete ein Funke.
Vorsichtig leckte Petzold das Blut von ihren Lippen. An der
Stelle über dem oberen linken Eckzahn durchfuhr sie ein stechender Schmerz. Der
erste Tritt hatte sich in ihren Magen gegraben und ihr für Minuten den Atem
geraubt. Der zweite eine geplatzte Lippe und drei wackelige Schneidezähne
hinterlassen. Warte, du Ratte, schwor sie lautlos dem Mann über ihr, du
bekommst alles zurück. Tritt für Tritt, Zahn um Zahn. Scheiß auf Mahatma
Gandhi, vergiss Aug um Aug und die ganze Welt wird blind sein! Ihre Angst war
Wut gewichen. Eine ebenso schlechte Ratgeberin, das wusste sie. Immerhin hatte
sie ihr Energie zurückgegeben. Kraft, die sie jetzt ebenso brauchte wie eine
Idee. Die beiden Typen hatten ihre Pläne unmissverständlich klargemacht. Mit
der Realisierung würden sie nicht ewig warten.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte der eine: »Fangen wir
endlich an. Hast du alles gefunden?«
Petzold hörte Klimpern, dazu die Stimme des Zweiten.
»Verschiedene Küchenmesser, mehrere Teppichmesser, einen scharfen
Brieföffner, Papierschere, eine Fuchsschwanzsäge, eine Rosen- und eine große
Heckenschere. Dazu Nadeln und Fäden. Das sollte genügen«, zählte er auf. Aus
den Bewegungen seiner Beine und den metallischen Geräuschen schloss Petzold,
dass er ein paar der Stücke präsentierte und wieder in den Korb zurücklegte.
»Okay. Fang hier an.«
Ihr schenkte niemand Aufmerksamkeit. Petzold nützte die Situation
und krümmte sich noch weiter zusammen, als sie es nach den Tritten getan hatte.
Der Mann am unteren Tischende kam mit dem Korb auf sie zu. Als er
sie erreichte, spannte sich Petzold, schnellte ihre Füße im Halbkreis gegen
seine Fersen und zog durch.
Der Vermummte wankte, warf die Arme hoch und fiel. Der Korb wirbelte
durch die Luft und landete auf dem Betonboden, wo er seinen Inhalt klappernd
verstreute. Blitzschnell rollte sich Petzold über die Messer, Scheren und
Sägen, versuchte eines zu fassen, spürte, wie eine Klinge sie ins Gesäß, eine
andere in den Arm schnitt. Sie rollte weiter, hörte den Mann fluchen und sah
aus den Augenwinkeln, wie er sich aufrappelte. Der andere tat einen Schritt auf
sie zu und holte mit einem Fuß aus. Petzold rollte weiter, und sein Tritt ging
ins Leere. Sie fühlte die harten Gegenstände unter Rücken, Beinen, Armen,
Handgelenken und bekam etwas zwischen ihre Finger. Während der Vermummte schon
wieder zu einem Tritt Anlauf nahm, als wolle er einen Elfmeter beim Fußball
schießen, schob sie in den Hosenbund, was sie zu fassen bekommen hatte.
Sein großer Fuß traf sie so heftig in die Seite, dass sie einen
halben Meter hoch durch die Luft flog. Bei der Landung durchschoss ihren
Oberkörper ein hässlicher Stich. Irgendetwas da drinnen war kaputt gegangen.
Sie war mit dem Gesicht zur Wand gelandet, hörte Fluchen, Schritte, da bohrte
sich der Fuß erneut in ihre Nieren und schleuderte sie einen Meter weiter gegen
die Mauer. Vor ihren Augen flimmerten alle Farben. Ihr Körper wollte an den
verschiedensten Stellen explodieren. Keine Lunge mehr.
Verzweifelt versuchte sie sich vor dem nächsten Tritt in Sicherheit
zu robben. Nicht noch einmal, flehte sie innerlich. Immerhin sah sie jetzt, wie
der Menschenberg auf sie zukam. Sie schloss die Augen und machte sich auf den
nächsten Angriff gefasst. Mit seinen Baggerhänden packte er sie am Hals und zog
sie auf die Beine.
Petzold spürte, dass ihre Knie sie nicht tragen würden, ließe er
jetzt wieder los. Stattdessen schleifte er sie zum Tisch und warf sie daneben
auf den Boden. Petzold landete hart, wieder dieser Stich durch den Oberkörper.
Noch immer konnte sie nicht atmen. Sie fühlte ihren Kopf schwellen, ihr wurde
schwindelig.
Ein Bündel Schmerz, am Rande des Bewusstseins, nahm sie
Weitere Kostenlose Bücher