Menschenteufel
sich zu ihr, sah in ihre Augen und fragte: »Haben Sie
Kopfschmerzen?«
»Nein«, log sie. Ihre eingerissenen Knochen pulsierten, und die
Blutergüsse darüber wollten mit jedem Herzschlag platzen. Aber das meinte er
sicher nicht. Sie vermutete, dass er sie nach Symptomen einer
Gehirnerschütterung fragte, und die spürte Petzold nicht.
Der Doktor machte eine Notiz und erklärte: »Dann können Sie gehen,
wann Sie wollen. Melden Sie sich bloß vorher bei der Schwester ab.«
»Wo ist meine Kleidung?«
Die Krankenschwester war wohl mit ihrem tadelnden Blick geboren
worden. Sie musterte Petzold im Krankenhauskittel und erwiderte: »Die tragen
Sie, Schätzchen.«
Wovon sprach diese Frau?
»Meine Hose, mein T-Shirt …«
»Mussten wir an Ihre Kollegen abgeben, sobald Sie hier eingeliefert
waren. Aber glauben Sie mir, so wie die ausgesehen haben, würden sie das Zeug
gar nicht wiederhaben wollen.«
Petzold erinnerte sich. Zerfetzt, blutgetränkt.
Na prachtvoll. Sie saß hier fest, in einem Nachthemd mit
Rückenschlitz bis zum Po. Petzold überlegte nicht lange.
»Kann ich bitte telefonieren?«
Doreen hatte ihr Erscheinen innerhalb einer Stunde versprochen.
So lange musste sich Petzold die Zeit vertreiben. In ihrem Zimmer zu warten, darauf
hatte sie keine Lust. Mit dem Aufzug fuhr sie drei Stockwerke tiefer.
Derselbe große Platz vor den Liften, dasselbe Licht, der gleiche
Geruch, nur dass sie dieses Mal selbst als Patientin da war. Wie anders sie das
Haus plötzlich wahrnahm. Sie wanderte bis zu Colin Shorts Zimmer. Auf dem
Schild neben der Tür stand nur eine Nummer, kein Name. Petzold lugte durch das
Guckfenster. Alles sah so aus wie beim letzten Mal. Reglos lag Short da, durch
Schläuche mit Maschinen verbunden.
Einem Impuls folgend öffnete sie die Tür und trat ein. Die Geräte
gaben leise, regelmäßige Geräusche von sich. Auf Zehenspitzen schlich Petzold
zum Bett und blieb daneben stehen. Die Schwellungen in Shorts Gesicht waren
etwas abgeklungen. Unter seiner dunklen Haut zeichneten sich noch immer
Blutergüsse ab. Durch den Schlauch aus seinem Mund zog leises Zischen hin und
her. Kaum merklich hob und senkte sich das Laken über der Brust mit jedem
Atemzug. Wie zwei Walnussschalenhälften bedeckten seine runzeligen Lider still
die Augen darunter und hielten die Welt von ihnen fern.
Sie konnte es ja versuchen.
»Schlafen Sie?«
Keine Reaktion.
»Mister Short. Doktor Colin Short. Ich bin Lia Petzold von der
Wiener Kriminalpolizei …« Sie stockte und verstummte. Short zeigte keinerlei
Regung. Ihr fiel ein, dass das einen einfachen Grund haben konnte. Sie
versuchte es noch einmal, diesmal richtig.
»I am Lia Petzold« , begann sie auf
Englisch. Sie versicherte ihm, jene zu finden, die ihm das angetan hatten. Sie
berichtete von verschiedenen Spuren, fragte, was bei Köstner geschehen war,
begann zu erzählen, von Alvin Tomlins und dem Kinderheim Mariabitt, hörte sich
von Shorts Bild bei Köstner radebrechen, kramte ihre ganzen Sprachkenntnisse
und ihren guten Willen zusammen, um von anderen Polizisten zu erzählen, die
auch in seinem Fall ermittelten, ohne zu erwähnen, dass sie deren Spuren für
falsch hielt, plapperte, als ob sie ihn dadurch unter die Lebenden zurückholen
könnte. Während der ganzen Zeit ließ sie ihren Blick nicht von den
versteinerten Lidern des Mannes, die ihr mit keiner Zuckung zu verstehen gaben,
dass er auch nur ein Wort von dem hörte oder verstand, was sie sagte, doch das
hielt sie nicht davon ab, damit fortzufahren.
»Was machen Sie denn da?«
Petzold hatte sich noch nicht umgedreht, da packte eine harte Hand
ihren Oberarm. Widerstandslos ließ sie sich von einer korpulenten
Krankenschwester aus dem Zimmer zerren.
Vielleicht wollte ich mich selber ins Leben zurückreden nach der
letzten Nacht, beantwortete sie die Frage der Frau stumm.
»Ich bin die Kriminalinspektorin, die in seinem Fall ermittelt«,
versuchte Lia Petzold ihr sachlich zu erklären.
»Gerade so sehen Sie mir auch aus. Verdammt, da hat wieder einmal
jemand seine Patienten nicht unter Kontrolle. Von welcher Abteilung sind Sie
denn abgehauen?«
Gute Frage.
»Drei Stockwerke höher. Ist Schwester Daniela da?«
Obwohl sie mich in diesem Zustand wahrscheinlich ohnehin nicht
erkennt.
Immerhin brachte Petzold die Frage nach der Kollegin einen
verdutzten Blick ein. Bevor die rüde Frau wieder loslegen konnte, versicherte
Petzold: »Ich bin wirklich die ermittelnde Inspektorin in dem Fall. Letzte
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