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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Raffelsberger
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eben. Die Person im weißen Mantel
war da gewesen. Sie täuschte sich nicht. Niemand drehte Lärm und Chaos den
Rücken zu. Außer man weiß, was geschieht. Kann sich in Sicherheit wiegen. Weil
man die Ursache der Aufregung kennt. Weil man die Ursache ist.
    Da war das Geräusch. Jemand befand sich im Treppenhaus. Petzold nahm
vier Stufen auf einmal. Ihre Hand hielt Kontakt zum Geländer. Jeder Sprung
bedeutete Lebensgefahr für die Knöchel. Eine Stufe verfehlen, umknicken, Bänder
ab. Mindestens. Einmal war es Petzold schon gelungen. Waldlauf.
    Die Stoffpantoffeln waren rutschig. Sie verlor einen. Warf den
anderen ab.
    Zwei Stockwerke tiefer tauchte am Geländer für Sekundenbruchteile
eine Hand auf. Im Latexhandschuh? Petzold hörte eine Tür schlagen.
    In der Aufzugshalle standen und liefen wenigstens zwanzig
Menschen. Die meisten trugen weiße Kleidung. Petzolds zweiter Blick sortierte
die Patienten aus. Blieben noch immer mehr als zehn. Zwei waren bereits in den
Fluren zu den Zimmern verschwunden. An der gegenüberliegenden Wand glitten die
Flügel eines Fahrstuhlportals zur Seite. Drei Personen stiegen aus. Fünf
wollten einsteigen, darunter drei vom medizinischen Personal. Niemand atmete
schwer, als sei er eben ein paar Stockwerke durch ein Stiegenhaus gejagt.
    Petzold suchte eine größere, breitere Person. Noch einmal scannte
sie die Anwesenden. Auch auf ihrer Seite warteten einige Personen auf den Lift.
Sie sah in die Gesichter. Die üblichen Wartemienen. Niemand beachtete die
Inspektorin.
    Neben ihr stand ein Mann mittleren Alters. Er erinnerte sie an den
Chefarzt einer amerikanischen Fernsehserie. Seine Hände steckten in den Taschen
des weißen Mantels. Von einer hing sein Ausweis. Die Brusttasche war überfüllt
von Schreibgeräten. Wie die Brust eines sowjetischen Militärs mit
Ordensstreifen. Um den Hals trug er ein Stethoskop. Langsam wippte er von den Fersen
auf die Zehenspitzen und zurück. Weder bemühte er sich um besondere
Unauffälligkeit, noch wirkte er nervös.
    Ein Zeichen. Irgendein Indiz. Konnte es einer von ihnen sein?
Petzold ignorierte die verstörten Blicke. Ja, sie stand da in Unterhemd und
mittlerweile barfuß auf dem Steinboden.
    Die Füße. Die Schuhe. Nicht nur die Patienten, auch alle Mitglieder
des Krankenhauses, die Petzold bis jetzt gesehen hatte, trugen zu ihren weißen
Kitteln eine weiße Hose und irgendeine Form von weißen Pantoffeln oder bequemen
Hausschuhen.
    Nur einer nicht, weiter hinten in der Gruppe. Er trug schwarze
Straßenschuhe, ungepflegt, dazu graue Jeans. Petzold musterte ihn, wie er
geduldig die Liftanzeige studierte. Auf dem Kopf trug er einen Mundschutz und
eine Operationskappe, aus der rotbraune Haare wucherten.
    Als seine Pupillen für einen Sekundenbruchteil in die Augenwinkel
wanderten und Petzold taxierten, sprintete die Inspektorin bereits los.
    Statt davonzulaufen, stürmte der Mann direkt auf sie zu. Bevor
Petzold ihm ausweichen konnte, hatte er sie bereits wie ein Rugbyspieler
überrannt. Im Fallen bekam sie seine Maske zu fassen. Für einen Moment blieb
sie hängen, dann riss der dünne Stoff ab. Die Zeit hatte gereicht, mit der
anderen Hand von hinten ins Gesicht des Mannes zu greifen.
    Sein Ellenbogen traf mit voller Wucht ihre Rippen. Von einem Blitz
quer durch ihren Brustraum getroffen, krallte sie die Hände in die Haare des
Mannes, dann klappte sie zusammen. Er löste sich aus ihrem Griff und rannte zum
Treppenhaus. Petzold kroch ihm auf allen vieren nach, schnappte nach Luft,
versuchte sich aufzurichten, strauchelte, fiel. Patienten und Ärzte umringten
sie, halfen ihr auf die Beine. Verzweifelt suchte Petzolds Blick den Mann.
    Jemand war da gewesen. Er war ihr entwischt.
    Das Stimmengewirr um sich nahm sie nicht wahr. Sie starrte auf ihre
Hände. In der einen hielt sie den zerrissenen Mundschutz. In der anderen ein
Büschel rostbrauner Haare.
    Petzold konnte unmöglich das gesamte Allgemeine Krankenhaus
abriegeln lassen. Straßensperren wären ebenso sinnlos. Verstärkung würde zu
spät kommen.
    Short!
    Auf die Fahrstühle wartete man zu lange. Sie hatte zwei gesunde
Beine. Mit ihnen humpelte sie im Treppenhaus zurück auf Shorts Etage hinauf.
Ihr Brustkorb schmerzte, vor den Augen drehte sich alles. Weiter!
    In Colin Shorts Zimmer standen die junge Ärztin, ein Pfleger und
Schwester Benda um das Bett. Petzold spürte ihren Puls im Magen, im Hals und im
ganzen Kopf. Die heftigen Schläge rührten nicht von ihrem Treppaufwärtslauf
her.

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