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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Raffelsberger
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Patienten. Wird noch eine Weile dauern.« Sie
reichte Petzold eine kleine Mineralwasserflasche. »Wollen Sie warten?«
    Petzold nahm einen Schluck, die Naht an ihrer Lippe schmerzte.
    »Er ist nach wie vor nicht über den Berg«, erklärte die andere
Schwester, die bis jetzt ihre Unterlagen gelesen hatte. »So viel kann ich Ihnen
sagen. Ich bin Schwester Pinaschek. Haben Sie schon den, der das getan hat?«
    »Leider nicht.«
    »Gibt es einen Verdacht? Hinweise?«
    »Anhaltspunkte.« Die Schwestern waren ihr sympathisch. Sie wollte
ihnen nichts vormachen. Warum auch? »Keine sehr konkreten.«
    »Sie sind noch nicht lange dabei, was?«
    »Darf ich das als Kompliment verstehen?«
    Ihre Frage fand keine Adressatin. Wie Synchronschwimmerinnen hatten
die beiden Schwestern ihre Köpfe einem Monitor zugewandt. Ein Licht blinkte.
Ein lauter Ton piepte.
    Pinaschek sprang auf und lief an Kern vorbei aus dem Raum. Ihre
Kollegin sprach in einen Telefonhörer: »Herzstillstand Zimmer elf.
Herzstillstand Zimmer elf.« Dann war auch sie draußen.
    Petzold stellte die Wasserflasche ab. Auf dem Flur herrschte auf
einmal Hochbetrieb. Schwester Benda rannte. Schneller, als Petzold ihr zugetraut
hätte. Weiter hinten lief Schwester Pinaschek. Zwei junge Männer in weißen
Hosen und Hemden kamen durch den Gang gehastet. Auch Kern setzte sich in
Bewegung. Dazwischen noch eine Frau in weißem Mantel. Aus einem der Zimmer
rannte ein Mann mit dunklem Teint in weißem Mantel. Am Ausgang noch eine
Gestalt in einem weißen Mantel. Wieder so viel Weiß.
    Schwester Pinaschek riss eine Zimmertür auf.
    Eine Tür, vor der Petzold wenige Minuten früher gestanden hatte.
    Petzold flog fast zu Shorts Krankenzimmer. In der Tür blieb sie
stehen. Hielt sich mit beiden Händen am Rahmen fest. Drinnen drängten sich die
beiden Schwestern, die zwei Pfleger, die fremde Frau im weißen Mantel, der
dunkelhäutige Mann um das Bett. Er gab hektische Anweisungen. Benda und
Pinaschek fragten, antworteten. Petzold verstand kein Wort. Ein Pfleger
bereitete die beiden Metallziegel des Defibrillators vor. Pinaschek zog eine
Spritze auf. Benda hantierte am Infusionsbeutel. Die dritte Frau musste
ebenfalls Ärztin sein. Blitzschnell befreite sie Shorts Brustkorb von Decke und
Verbänden. Die Schnitte darauf wirkten wie eine abstrakte Kohlezeichnung.
Schwarz auf orangefarbenem Grund. Konnte man auf dieser Brust einen Defi
einsetzen? Himmel! Noch vor ein paar Minuten hatte sie Short angefleht zu kämpfen.
Was war geschehen?
    Sie konnte später nicht sagen, warum sie in diesem Moment nach links
auf den Flur sah. Vielleicht eine unbewusste Wahrnehmung aus den Augenwinkeln.
Vielleicht eine reflexhafte Erinnerung an eben Gesehenes. Gerade noch hatte sie
in einer anderen Tür gestanden. Vor sich ein Bild des Chaos. Irgendetwas war da
gewesen. Hatte sie irritiert. Oder irritierte sie jetzt.
    Der Doktor setzte den Defibrillator an.
    Da war noch jemand gewesen. In einem weißen Mantel. Das gesamte
Personal hier trug Weiß. Alle waren in Colin Shorts Zimmer gestürzt. Alle bis
auf einen. Jemand war Richtung Ausgang gegangen. Trotz des Alarms. Trotz des
Lärms, trotz all der Aufregung. Ohne sich umzudrehen. Petzold hatte es nur für
einen Sekundenbruchteil registriert. Nicht einmal bewusst wahrgenommen. Auf der
Netzhaut abgebildet und gespeichert. Jetzt war das Bild wieder da. Wer ging in
einer solchen Situation kaltblütig davon? Ein Arzt natürlich, der so etwas
jeden Tag erlebte.
    Sie war gelaufen, ohne es zu bemerken. Sie stand in der
Fahrstuhlhalle. Ein alter Mann in Bademantel. Aus seiner Nase liefen Schläuche
zu einer Sauerstoffflasche. Der Getränkeautomat. Die Glastür zum anderen
Flügel. Niemand. Die Tür zum Treppenhaus.
    »Ist hier jemand vorbeigekommen?«
    Der Alte sah sie entsetzt an. Petzold hatte vergessen, dass sie nur
ein lockeres Nachthemd und Pantoffel, dazu einen Verband über das halbe Gesicht
trug.
    »Ist hier jemand vorbeigekommen?!«, hörte sie sich brüllen.
    »Ein Arzt. Da.« Verschreckt zeigte er zum Ausgang ins Treppenhaus.
    Petzold war schon dort.
    Tür auf. Der Lärm warf ein Echo. Grelles Licht. Das Geländer eine
eckige Spirale in die Tiefe. Niemand.
    Petzold hielt die Luft an.
    Der Mensch ist ein Tier. Ein Onkel Petzolds liebte diesen Spruch.
Mit ihm pflegte er alles zu erklären, was seinem schlichten Geist unerklärlich
erschien. Petzold war seiner Meinung. Wenn auch aus einem anderen Grund. Oft
genug hatte sie ihre Instinkte erlebt. So wie

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