Menschenteufel
Als sie eintrat, erntete sie befremdete Blicke.
»Raus!«, rief der Arzt.
Petzold blieb an der Tür stehen.
Der Amerikaner lag zugedeckt bis zum Hals. Alle Schläuche waren an
ihrem Platz. Die Apparate ringsum blinkten beruhigend gleichmäßig. Der Pfleger
knetete prüfend den Infusionsbeutel oberhalb von Shorts rechtem Arm. Sachte
bewegte sich die Brust des Afroamerikaners.
Schwester Benda entdeckte Petzold, die in der Tür stand, und kam auf
sie zu.
»Er hat Glück gehabt. Plötzliches Herzversagen.«
Petzolds Blick flatterte zwischen Short und der Schwester hin und
her.
»Haben Sie eine Blutprobe genommen?«
»Ist Routine in so einem Fall.«
»War sonst etwas auffällig? Geräte abgeschaltet? Schläuche
entfernt?«
»Nein. Wieso?«
»Die Analyse der Blutprobe hat höchste Priorität. Sorgen Sie bitte
dafür. Haben Sie zufällig zwei Plastiksäckchen für mich?«
Aus einem Kästchen zauberte Benda das Gewünschte.
In eines steckte Petzold die Haare, im anderen versenkte sie den
kaputten Mundschutz.
Die Ärztin war zu ihnen getreten. Ihre Brusttasche enthielt nur
einen Kugelschreiber. Dafür hing ihr Ausweis daran. Doktor Susanne
Soblak-Firmiteso.
»Wer sind Sie? Was machen Sie hier?«
Petzold erklärte es ihr. Die Jungmedizinerin mit dem
multikulturellen Namen musterte Petzold wie ein exotisches Insekt.
»Können Sie sich ausweisen?«
»Später. Fragen Sie oben nach. Gibt es im Krankenhaus
Überwachungskameras?«
Doktor Soblak-Firmiteso sah sie verdutzt an.
»Hier oben auf keinen Fall.«
»Haben Sie ein Handy? Hat jemand von Ihnen ein Mobiltelefon da?«
»Nein, wieso?«, antwortete die Ärztin, ohne sich zu rühren. »Die
sind hier nicht gestattet und funktionieren auch nicht.«
Petzold war bereits unterwegs zum Schwesternzimmer, gefolgt von
Schwester Benda und der Medizinerin.
Während Petzold auf dem Festnetzgerät die Nummer tippte, fragte sie:
»Haben Sie von den Materialien in Doktor Shorts Zimmer irgendetwas ausgetauscht
oder verändert? Eine Infusion oder anderes?«
»Die Infusionen, ja.«
»Werfen Sie die alten Beutel auf keinen Fall weg. Ich brauche sie
für die Spurensicherung.«
Die Falten auf der Ärztinnenstirn wurden immer tiefer. »Könnten Sie
mir bitte einmal erklären, was das hier alles soll?«
»Wie wahrscheinlich war ein Herzversagen bei Doktor Short?«, fragte
Petzold, den Hörer am Ohr. Sie korrigierte sich, als ihr bewusst wurde, dass
die Ärztin Shorts Namen gar nicht kannte. »… bei dem Mann.«
»Sein Zustand war kritisch, aber stabil.«
Petzold unterbrach sie, als Präbichler sich meldete.
»Stell jetzt keine Fragen«, befahl sie. »Besorg Personenschutz für
Colin Short im AKH . Grüner Turm, Zimmer …«
Sie warf der Ärztin einen fragenden Blick zu und erhielt eine
Antwort, die sie weitergab.
Die Umstehenden betrachteten sie besorgt. Petzold bat Präbichler,
Pribil, Krischintzky und Bohutsch zu informieren, bevor sie das Gespräch
beendete.
»Wo waren wir? Ah ja, kritisch, aber stabil. Sie sprechen hier mit
keiner Angehörigen. Ich weiß, Sie sind Ärztin. Trotzdem brauche ich eine
präzise Auskunft.«
Doktor Soblak-Firmiteso seufzte. »Sie machen es einem schwer! Ich
will es einmal so ausdrücken: Ich hätte momentan kein Herzversagen erwartet.
Aber man kann natürlich nie wissen …«
»Und das beantwortet Ihre Frage, was meine Anweisungen sollen. Ich
glaube, Doktor Shorts Komplikationen waren kein Zufall.«
Schwester Benda schlug die Hand vor den Mund.
»Vielleicht hat die Person, die ihn beim ersten Mal so zugerichtet
hat, Angst, dass Doktor Short sie erkannt hat. Oder sie weiß sogar, dass es so
ist. Dann würde sie diesen Zeugen gerne loswerden. Es kann aber auch sein, dass
die erste Tat ein Mordversuch mit einem bestimmten persönlichen Motiv war.
Nachdem dieser erfolglos verlief, wollte es der Täter noch einmal probieren.«
»Warum jetzt erst? Der Mann liegt seit einer Woche hier.«
Gute Frage. In Petzold dämmerte eine vage Ahnung. Wer immer es war,
er begann Fehler zu machen. Zeigte Nerven. Lieferte Aktionen, die Spuren
hinterließen. Vielleicht kam das Attentat zu diesem Zeitpunkt nicht zufällig,
nach allem, was letzte Nacht in Köstners Keller geschehen war. Bei dem alten
Mann trafen sich alle Fäden. Hingen die Fälle womöglich enger zusammen, als sie
dachten? Aber wie? Zufrieden dachte Petzold an den Inhalt der beiden Säckchen
in ihrer Hand. Haare, DNS . Vielleicht brachte sie
das wieder einen Schritt weiter.
»Bis auf
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