Menschenteufel
Blusen aus dem Kleiderhänger, den sie mitgebracht
hatte. Wie eine Modeverkäuferin hielt sie die Stücke abwechselnd vor den Körper
und tänzelte in elegante Posen.
»Dieses besonders sommerliche Stück mit verspieltem Kragen,
tailliertem Schnitt und Blümchenmuster würde Ihnen allerliebst stehen. Oder
diese klassisch weiße Leinenbluse. Ihre Eleganz korrespondiert hervorragend mit
den weißen Verbandstextilien …«
»Hör auf, Lachen tut meiner Lippe weh«, kicherte Petzold mit
verspanntem Mund. In Wahrheit war sie froh über die Ablenkung. Während sie auf
Shorts Personenschutz wartete, hatte sich der Zorn über den Mordversuch an dem
wehrlosen Mann wie Gewitterwolken in ihrem Kopf zusammengeballt. In diese
finstere, brodelnde Front rissen Doreens Blödeleien kleine blaue Lücken.
Ihre Freundin zog noch zwei Röcke, eine kurze und eine lange Hose
sowie zwei Sommerkleider aus der Hülle hervor und breitete sie begleitet von
ähnlichen Kommentaren auf Petzolds Krankenbett aus.
»Ach, zwei T-Shirts habe ich auch noch.«
Doreen pflegte eine Vorliebe für schrille japanische
Designerleibchen. Von einem lächelte ein aufreizendes Mädchen, in
psychedelischem Siebzigerjahrestil gezeichnet, auf dem zweiten flirteten zwei
comichafte Gazellen miteinander, deren spitze Hörner genau an Petzolds
Brustwarzen enden würden. Das war ihr dann doch zu direkt und passte auch nicht
gerade zu ihrem momentanen restlichen Erscheinungsbild.
»Was hast du denn heute noch vor?«, fragte Doreen. »Danach solltest
du vielleicht deine Wahl treffen.«
»Gestern hatte ich nur ein paar Besuche geplant und schau dir an,
wie ich heute aussehe. Ich schätze, auf meine Pläne allein kann ich mich nicht
verlassen. Ich muss noch die von anderen mit einkalkulieren.«
»Ich bin untröstlich, aber Kampfanzüge und Ritterrüstungen führen
wir nicht.«
Petzold griff nach dem Psychedelic-Shirt, als Doreen sich
darüberwarf.
»Moooment! So einfach ist das nicht. Geben und nehmen. Bevor du
eines dieser heißen Wunderteile anziehen darfst, bekomme ich eine Geschichte.«
»Vergiss es.«
»Das kannst du nicht machen. Wir sind Freundinnen.«
»Und die helfen sich ohne Bedingungen.«
»Aber kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Schenk mir eine
Geschichte. Eine kleine wenigstens.«
»Ich würde dir alles erzählen, wärst du keine Journalistin.«
»Okay, dann bin ich jetzt nur Freundin. Meine Hände sollen mir
abfallen, wenn ich ohne deine Erlaubnis auch nur einen Buchstaben darüber
schreibe, was du mir erzählst.«
Petzold musterte dieses Verführergeschöpf für eine Sekunde
skeptisch. Eigentlich brauchte sie genau jetzt jemanden, bei dem sie alles
loswerden konnte. Also erzählte sie, was ihr in der vergangenen Nacht und heute
im Krankenhaus widerfahren war, bis zum Eintreffen von Shorts Personenschutz
vor wenigen Minuten.
Unerwähnt, weil in diesem Zusammenhang für Doreen nicht wichtig,
ließ sie Pribils Anruf vor einer halben Stunde. Die Schwestern hatten ihr
mittlerweile ihr Mobiltelefon ausgehändigt, das ihnen die Sanitäter zur
sicheren Verwahrung übergeben hatten. Petzold hatte noch im Unterhemd vor
Shorts Zimmer gesessen. In besorgtem Ton hatte sich Pribil nach ihrem Zustand
erkundigt. Keinerlei Ärger war in seiner Stimme zu hören, als er sie
aufforderte, sich auszukurieren, und ihr gute Besserung wünschte. Vom Mitgefühl
ihres Vorgesetzten fühlte sie sich angenehm überrascht.
Doreen wurde mit jedem Wort bleicher. Als Petzold geendet hatte,
fluchte sie: »Drei Mal verdammt! Kannst du dir vorstellen, was es für mich
heißt, das alles zu wissen und nicht bringen zu dürfen? Dreißig Mal verdammt!«
Sie nahm Petzolds Hand und fuhr milder fort: »Du solltest nach Hause
gehen, dich ins Bett legen, lange schlafen, Eistee trinken, Musik hören und dir
was Feines vom Chinesen kommen lassen. Ich kann auch für dich kochen. In deinem
Zustand darfst du doch nicht wieder arbeiten gehen.«
Petzold seufzte. »Was glaubst du, wonach mir ist? Aber außer mir
kümmert sich niemand um diesen Fall. Oder wenigstens nicht um die richtige
Spur.«
»Du kannst die Welt nicht alleine retten. Schon gar nicht als
Halbtote. Ruh dich aus. Nur der ausgeschlafene Vogel fängt den Wurm, heißt es.«
»Der frühe Vogel!«
»Quatsch, das wollten uns bloß die Eltern immer weismachen.«
»Ich zieh mich jetzt an.«
»Du bist wohl ziemlich überzeugt von deinem Ansatz. Dann lass mich
wenigstens deine Chauffeurin sein. Keine Hintergedanken,
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