Menschenteufel
ehrlich.« Sie
verschloss ihren Mund mit einem unsichtbaren Schlüssel. »Mein Mund ist
versiegelt, und meine Schreibfinger sind gefesselt, bis du sie wieder befreist.
Ich fahre dich. Wohin musst du?«
Als Petzold aus dem Torbogen unter dem Schriftzug »Kinderheim
Mariabitt« wieder auf die Straße trat, lümmelte Doreen mit dem aufgeklappten
Laptop auf der Rückbank ihres alten englischen Sportcabriolets und telefonierte.
Sie tippte etwas in den Computer, dann bedankte sie sich und legte
auf.
»Das war die Redaktion. Noch jemand hat sich auf die
Bildveröffentlichung gemeldet und eine der Frauen auf Colin Shorts altem Foto
erkannt. Sollen wir die alte Dame besuchen?«
»Das muss warten. Jetzt bringe ich die Listen zur Sonderkommission.«
An anderen Tagen hätte Petzold sich über die niedrige Beifahrertür
gehievt. Heute öffnete sie die Chromschnalle und ließ sich ins weiße Leder
fallen.
»Ganz verstehe ich noch nicht, warum du plötzlich bei diesen
Mordermittlungen dabei bist«, schmollte Doreen.
»Weil ich es will. Und weil mein Fall vielleicht damit verbunden
ist.«
»Alles klar. Dir wird als Revierinspektorin langweilig, und du
strebst nach Höherem. Einer Mordkommission zum Beispiel.«
»So heißt das bei uns zwar nicht, aber was wäre falsch daran?«
»Nichts. Außer, dass man dabei schon mal abgeschlachtet wird, wenn
ich deine Schilderungen der vergangenen Nacht richtig verstanden habe.«
Beim Gedanken daran krampfte sich Petzolds Hand um den Türgriff. Aus
ihrem Solarplexus heraus überflutete eine heiße Welle ihren ganzen Körper.
Langsam, sodass Doreen nichts merkte, holte sie tief Luft und versuchte den
bösen Anfall auszuatmen. Sie lenkte ab.
»Was machst du da überhaupt? Schreibst du etwa schon?«
»Wo denkst du hin?«
»Ich habe nichts dagegen, solange du es nicht veröffentlichst. Du
kannst ja schon einmal alles formulieren, dann hast du deine Geschichte, wenn
die anderen erst zur Pressekonferenz eingeladen werden.«
»Ich gebe zu, dass ich an etwas Ähnliches gedacht habe. Aber vorerst
hatte ich Besseres zu tun. Was hast du da drinnen besorgt?«
»Listen aller Mitarbeiter, Kinder und Förderer seit dem Zweiten
Weltkrieg.«
»Lückenlos?«
»Das hoffe ich.«
»Ist unter den Kindern ein Martin Tarosch?«
»Was wird das jetzt?«
»Beantworte einfach meine Frage.«
Petzold begann zu blättern. »Kannst du mir ein ungefähres Jahr
sagen?«
»Mitte der Sechziger.«
Nach einigem Suchen fand sie den Genannten und bestätigte es Doreen.
»Gut. Wie sieht es mit Petra Tarnstein aus? Ab Anfang der siebziger
Jahre.«
Auch sie entdeckte Petzold in den Aufzeichnungen.
»Und zu guter Letzt Ida Freichl. Ab Mitte der sechziger Jahre.«
»Habe ich auch. Erklärst du mir bitte, was das soll?«
Umständlich wand sich Doreen von der Rückbank auf den Fahrersitz.
Sie legte den Laptop neben dem Lenkrad auf ihre Beine und zeigte auf den
Bildschirm. »Während du da drinnen warst, habe ich dein Kinderheim
recherchiert. Dabei habe ich nicht nur Erfreuliches gefunden. Ist zwar schon
länger her, aber trotzdem.«
»Das ist ein verdammt unbequemes Auto.«
»Du gehörst ins Bett.«
»Erzähl, was du gefunden hast.«
»Was hat deine Heimleiterin denn gesagt, als du all diese Daten
wolltest?«
»Sie war sehr freundlich und hat sie mir gegeben.«
Lange würden sie so nicht mehr sitzen können. Noch stand der Wagen
im Schatten, doch schon gab er der wiedererstarkten Sonne Raum und zog sich zu
den Häuserfassaden am Gassenrand zurück.
»Keine Fragen, wofür du sie brauchst, keine Geschichten dazu? Alte
Papiere reizen die Leute doch immer zum Erzählen.«
»So lange ist sie noch nicht da. Muss ich dir auch alte Papiere
geben, damit du endlich verrätst, was du ausgegraben hast?«
»Gar nichts ausgegraben. Steht alles im Internet. Brauchst nur ein
bisschen in den Suchmaschinen zu stöbern. Hier ist zum Beispiel der Blog von
Ida Freichl. Schillernde Person. Erinnert an Kellner in Los Angeles. Du weißt
schon: Eigentlich bin ich Schauspieler. Hatte schon
tausend Jobs, von der Pizzaköchin über Weltreisende bis zur Magistratsbeamtin.
Versteht sich aber als Lyrikerin. Kannst du hier alles nachlesen.«
Sie stoppte das lange Schriftdokument mit den zahlreichen Bildern an
einer Stelle ohne Fotos, dafür mit fetten Worthervorhebungen.
»Für dich interessant werden könnte es hier.«
Das bin ich
Hing immer schon alles miteinander zusammen, wie es fernöstliche
Religionen behaupten, und hatten wir
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