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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Raffelsberger
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gerade schöner, dachte sie.
    »Sorry, aber es geht nicht. Du wolltest mir helfen. Nun, so sieht
Hilfe aus. Sobald ich fertig bin, darfst du zu ihr und fragen, ob sie dir ein
Interview gibt.«
    »Warum sonst hätte sie bei der Zeitung anrufen lassen?«
    »Weil alte Leute manchmal so sind. Sie haben es in der Zeitung
gelesen, also rufen sie dort an.«
    Doreen seufzte und warf resignierend die Arme hoch.
    »Ich habe hier ja ein lauschiges Plätzchen.« Sie fischte die
Laptoptasche von der Rückbank und bemerkte schnippisch: »Zu schreiben gibt es
so schon genug.«
    Aus der Tasche zog sie ein Blatt Papier und reichte es Petzold. Es
war ein Ausdruck von Shorts Suchbild. Doreen zeigte auf die erste Frau links.
»Das hier ist sie.«
    Ein hübsches Gesicht, umwerfende Augen, dunkle Locken, im Stil der
vierziger Jahre hochgesteckt. Schüchtern lächelte sie in die Kamera.
    An einem normalen Tag wäre Petzold gegangen. Heute nahm sie den
Fahrstuhl. Wegen ihrer Verletzungen roch sie kaum etwas. Also keine Neuaufnahme
in den Guide d’Odeur. Stattdessen zerbrach sie sich den Kopf über die
Bildhaftigkeit der Worte Fahrstuhl, Lift und Aufzug.
    Im dritten Stock erwartete sie das eng bemessene Treppenhaus der
Gemeindebauten aus den zwanziger Jahren mit vier kleinen Türen in
Eierschalenfarbe. Petzold klingelte bei Wildschek.
    Eine filigrane alte Frau öffnete. Sie reichte Petzold kaum bis zur
Schulter. Wie Seidenpapier überzog fast faltenlose Haut ihr Gesicht. Sofort
erkannte Petzold die Augen wieder. Die braunen Locken hatten sich in eine
schlohweiße Altdamenfrisur verwandelt. Ihre ganze Erscheinung wirkte äußerst
gepflegt. Sie stand sehr aufrecht und trug ein dunkelgrünes Kleid aus einem
jener Stoffe, die man nur an alten Frauen sieht. Insgesamt hätte sie gut neben
den alten Anatol Niklic gepasst. Über Petzolds Aufzug schien sie nicht im
Mindesten überrascht.
    Sie führte die Inspektorin in das kleine Wohnzimmer, dessen Möbel
aus den sechziger Jahren stammten. In der Wohnung erkannte Petzold die
Achtsamkeit der Bewohnerin wieder. Alles war sehr sauber und ordentlich.
Petzold fühlte sich an Besuche bei ihrer Urgroßmutter erinnert. Die Repliken
alter Bilder an den Wänden, das Porzellan in der Vitrine, die Seidenblumen auf
der Kommode, daneben Familienfotos in verschiedenen Größen und Rahmen. Auf
einem kleinen Tisch mit Häkeldeckchen warteten eine Teekanne und zwei Tassen.
    Nachdem sie beim Einschenken des Tees ein paar höfliche Worte
getauscht hatten, kam Emilie Wildschek schnell zur Sache.
    »Was ist das denn nun für ein Bild?«
    Petzold reichte ihr Doreens Ausdruck. Wildschek legte ihn vor sich
auf den Tisch. Über ihre Züge huschte eine fast unmerkliche Welle des
Erkennens. Sie ließ Wildscheks Gesicht zurück, als hätte sie die Heilige
Jungfrau gesehen.
    »Woher haben Sie dieses Foto?«, flüsterte sie.
    Petzold erzählte ihr das Notwendigste: von einem sechzigjährigen
Amerikaner, der Personen darauf suchte.
    »Wofür?«
    »Das wissen wir auch nicht.«
    »Das bin ich.«
    Behutsam strich Wildscheks magerer Finger über das junge Gesicht.
    Petzold schien für sie nicht mehr anwesend. Entrückt ließ sie den
Finger weiterwandern bis zum ermordeten Alvin Tomlins. Mit sanften Bewegungen
begann sie das Bild des lachenden Soldaten abzutasten. Leiser Schauder stieg
Petzolds Rücken hoch. Die Gesten waren eindeutig.
    Die alte Frau streichelte das Bild des vor über sechzig Jahren
Verschiedenen.

Ja
    »Niemand wusste davon«, erklärte Emilie Wildschek mit brüchiger
Stimme. Sie verstummte. Ihr Blick sank wieder auf das Bild. »Bis heute.«
    In Petzolds Kopf stürzten die Fragen übereinander. Schnell ordnete
sie ihre Gedanken. Jetzt musste sie behutsam vorgehen. Das Foto von Alvin
Tomlins hatte in Emilie Wildschek eine Tür geöffnet.
    »Was ist geschehen?«
    Und Emilie Wildschek erzählte.
    »Ich war neunzehn Jahre alt, als der Krieg in Europa im Sommer 1945
zu Ende ging. Mein Vater war Ende 1944 in russische Kriegsgefangenschaft
geraten. Er sollte nie wieder zurückkehren. Aber das wussten wir damals noch
nicht. Im Frühjahr 1945 floh meine Mutter mit meinen Geschwistern und mir vor
den herannahenden Russen nach Salzburg zu einer Tante. Ein paar Wochen später
erfuhren wir, dass wir ausgebombt worden waren. So schnell gab es also kein
zurück nach Wien. Wir blieben bis 1947 auf einem Bauernhof, deren Besitzer
meine Großtante kannte. Wir arbeiteten auf dem Hof für unsere Kost und Logis.
Nebenbei lernte ich nachts

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