Menschenteufel
und sprach weiter: »Zwei Wochen später fragte
er mich noch einmal.«
Ihre Augen leuchteten, als sie Petzold ansah. »Diesmal sagte ich
ja.«
Petzold spürte ein Gefühl der Erleichterung aufsteigen. Gleichzeitig
bildete sich ein Kloß in ihrem Hals.
»Das Problem war: Ich konnte es meiner Mutter nicht sagen. Ich
konnte es niemandem erzählen. Weiterhin hielten wir alles verborgen.
Währenddessen planten wir unsere Zukunft. Al sollte nach seiner Rückkehr in die USA ein Stipendium erhalten und wollte Medizin
studieren. Er erzählte mir von seiner Heimat, und wir träumten von einem
hübschen Holzhäuschen an der Küste von North Carolina. Langweile ich Sie?«
Stumm schüttelte Petzold den Kopf. Natürlich wollte sie mehr über
ihren Fall erfahren. Doch die Vergangenheit der alten Frau hatte sie in ihren
Bann gezogen. An die Schilderungen ihrer Urgroßmutter erinnerte sie sich nicht.
Ihre Großmutter hatte die Nachkriegszeit gerade als kleines Kind miterlebt. Nur
mehr von wenigen bekam man die Geschichten noch aus persönlicher Anschauung
erzählt. Wenn Emilie Wildschek erzählen wollte, in Petzold sollte sie eine
geduldige und aufmerksame Zuhörerin haben.
»Im März wurde klar, dass ich schwanger war. Jetzt geriet ich in
Panik. Meine Mutter wusste von nichts. Alvin drängte mich, es ihr endlich zu
sagen. Aber ich traute mich nicht. Zu dieser Zeit sagte er immer häufiger
unsere Treffen ab. Meine Panik wurde noch schlimmer. Ich fürchtete, dass es an
der Schwangerschaft läge. Als ich ihn darauf ansprach, beruhigte er mich und
beteuerte, dass es nichts mit mir zu tun habe. Seine Arbeit sei schuld daran.
Er sei da einer gemeinen Sache auf der Spur, mehr könne er aber nicht sagen.
Ich muss gestehen, dass bei mir Zweifel zurückblieben. Dann meldete er sich
überhaupt nicht mehr. Ich war am Ende. Hatte ich also doch recht behalten.
Alvin hatte mich wegen des Kindes sitzen lassen. Weil unsere Beziehung geheim
gewesen war, wagte ich auch nicht, beim amerikanischen Militär nachzufragen.«
Während ihrer Schilderung wirkte Wildschek auf Petzold eigentümlich
ruhig, fast distanziert. Als wolle sie die Ereignisse selbst sechzig Jahre
später nicht an sich heranlassen. Ganz leise sagte sie schließlich:
»Ein paar Tage später erzählte mir einer unserer Bekannten, dass
Alvin ermordet worden war.«
Die Augen der alten Frau wurden feucht. Verlegen wandte sie ihren
Kopf ab und blickte zum Fenster hinaus. Mit ihrer hageren Hand versuchte sie
die vibrierenden Lippen zu kontrollieren.
Zweimal setzte sie zum Weitersprechen an. Stattdessen musste sie den
Mund zusammenpressen und schlucken.
Nach endlosen Sekunden befeuchtete sie die Lippen mit ihrer
Zungenspitze und fuhr mit brüchiger Stimme fort. »Über meine Bekannten
versuchte ich, mehr zu erfahren. Das war natürlich auch nicht so einfach, sie
wussten ebenso wenig über mein Verhältnis mit Al, und ich wollte mich nicht
verdächtig machen. Viel drang nicht durch. Anscheinend ist er erschossen
worden. Wie, wo, warum, habe ich nie erfahren. Normalerweise las man so etwas
in der Zeitung. Über Alvin wurde nichts gebracht. Aus irgendeinem Grund hielten
die Behörden den Deckel drauf. Sie können sich meine Empfindungen nicht
vorstellen. Ich war im vierten Monat schwanger von einem Schwarzen. Niemand
wusste davon. Der Vater des Kindes war tot. Von unserer Verlobung hatte auch
niemand eine Ahnung. Es gab keine Dokumente darüber, nichts. Damals hatte ich
die schlimmsten Gedanken. Um das Kind wegzumachen, war es zu spät, außerdem
hätte ich das nicht gewollt. Im Frühsommer ließ sich mein Zustand beim besten
Willen nicht mehr verbergen.«
Wildschek hatte zu ihrer distanzierten Ruhe zurückgefunden.
»Ich beichtete alles meiner Mutter. Nie werde ich ihr Gesicht
vergessen. Als ich ihr erzählte, dass der amerikanische Soldat ein Schwarzer
gewesen war, fiel sie fast in Ohnmacht. Nachdem ich fertig war, zischte sie mit
schmalen Lippen: ›Du gibst den Bastard sofort nach der Geburt zur Adoption
frei.‹ Ich heulte, schrie ›Niemals!‹, rannte aus dem Haus. Aber wo sollte ich
hin? Spätabends kehrte ich zurück. Bis zur Entbindung sprach meine Mutter kein
Wort mehr mit mir. In den letzten Schwangerschaftswochen stellte sich heraus,
dass es eine Steißlage war. Also ging ich ins Krankenhaus. Die Geburt war lang
und schwierig, es gab Komplikationen. Als es endlich vorbei war, legten sie mir
das schreiende Bündel kurz auf den Bauch. Haben Sie Kinder?«
Petzold schüttelte
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