Menschenteufel
Freund.
»Aber wo ist der Zusammenhang?«
»Was gibt es hier für Geheimnisse?« Missgelaunt und mit wichtiger
Miene betrat Wagner die Küche. Petzold zögerte.
Freund präsentierte ihm die zerschnittene Zeitung.
»Das hat die Kollegin in Boderts Altpapier gefunden.«
»Ein Artikel fehlt«, bemerkte Wagner scharfsinnig.
»Der erste Bericht über den brutalen Angriff auf einen
afroamerikanischen Professor in Wien«, erklärte Petzold. »Ort des Geschehens,
vor der Villa von Gerwald Köstner. Sie erinnern sich – der Grund, weshalb wir
uns alle gestern Nacht dort getroffen haben. Ausgerechnet diesen Artikel
schneidet Bodert aus. Sonst keinen. In keiner anderen Zeitung.«
Wagner antwortete nicht gleich, und Freund nutzte die Gelegenheit.
Er schilderte die Entdeckungen über die ehemaligen Heiminsassen im Internet.
Wagner verfolgte seinen Vortrag mit zunehmend skeptischem Blick. Als
Freund geendet hatte, nickte er nachdenklich. »Kann natürlich ein Zufall sein«,
sagte er. »Wäre aber schon ein ziemlich großer. Haben Sie eine Idee, wie Ihr
Fall zu unserem passen könnte?«, wandte er sich an Petzold.
»Nicht wirklich«, gestand sie. »Aber mittlerweile haben wir so viele
Schnittpunkte, dass ich von einem Zusammenhang überzeugt bin.«
»Das hat Ihnen ja schon vergangene Nacht eine Menge Ärger
eingebracht«, bemerkte Wagner mit einer Geste, die ihre Bandagen meinte. »Wie
es scheint, hat Kollege Freund Sie ohnehin schon in die Ermittlungen
integriert. Ich schlage vor, dass Sie Ihre Fäden des Falls weiterverfolgen und
ab sofort eng mit uns zusammenarbeiten. Ihre Kontaktperson bleibt Oberinspektor
Freund, der mich bitte auf dem Laufenden hält«, sagte er mit einem mahnenden
Blick.
Petzold registrierte Freunds Verwunderung über Wagners
Kooperationsfreude. Gleichzeitig fragte sie sich, an welchem Punkt sie ihre
Ermittlungen nun fortsetzen sollte. Um Bodert und seine Vergangenheit würde
sich die Sonderkommission kümmern, inklusive der ehemaligen Heiminsassen. Ihr
Fall war noch immer der Anschlag auf Short. Als Nächstes sollte sie Pribil und
die Herren des BVT über die neuesten
Entwicklungen informieren. Pribils besorgter Anruf im Krankenhaus hatte Petzold
eine neue Seite ihres Vorgesetzten offenbart. Zum ersten Mal in ihrer Zeit beim
Kriminalkommissariat West spürte sie ihren Widerwillen bröckeln, mit ihm zu
arbeiten. Sie würde ihm die Lage erklären. Sollte er Krischintzky und Bohutsch
erzählen, was er für wichtig hielt.
Wagner hatte den Raum verlassen. Freund sah sie fragend an.
»Alles in Ordnung?«
»Ihr Fall nimmt mir alle Spuren weg«, erklärte sie gut gelaunt und
kramte ihr Telefon aus der Hosentasche. »Aber eine habe ich noch.«
Zufrieden über das ratlose Gesicht des Oberinspektors machte sie
sich auf den Weg.
Wir müssen aussehen wie auf einem Werbefoto aus den fünfziger
Jahren, dachte Petzold. Das alte Cabriolet blitzte, ihre Sonnenbrillen
verdeckten das halbe Gesicht, und ihre Kopftücher wehten im Fahrtwind. Nebenbei
tarnten Doreens Accessoires auch noch Petzolds Kopfbandagen.
»Wer ist die Frau?«
»Damals hieß sie Emilie Zoreinigg, heute Wildschek.«
»Hat sie sich selbst gemeldet?«
»Ein Bekannter von ihr hat angerufen, nachdem er sie erkannt und um
Erlaubnis gefragt hat.«
»Warum hat sie nicht selbst angerufen?«
»Das musst du sie selber fragen.«
Obwohl die Sonne nur mehr obere Stockwerke beleuchtete, hielt sich
in den Gassentälern schwüle Hitze. Petzold streckte ihren Arm aus dem Wagen und
ließ die Hand in Wellenbewegungen auf- und abwärtsgleiten. Als Kind hatte sie
geglaubt, so müsse Fliegen möglich sein. Wenn Papa schnell genug fuhr und sie
beide Arme gleichzeitig wie Schwingen in den Wind hielt. Aber ihre Eltern
hatten kein Cabrio besessen, nicht einmal ein kleines Schiebe- oder Fetzendach,
durch das man, auf der Rückbank stehend, den ganzen Oberkörper der frischen
Luft hätte entgegenstellen können.
Vor einem Gemeindebau aus den zwanziger Jahren zwängte Doreen den
Wagen in eine Parklücke und erklärte: »Diesmal darf ich aber mitkommen.«
Petzold verdrehte die Augen. »Das sind polizeiliche Ermittlungen!«
»Ich hätte dir gar nichts sagen müssen und die alte Dame einfach
interviewen können. Immerhin haben die Herrschaften bei der Zeitung angerufen
und nicht bei der Polizei.«
Petzold nahm die Sonnenbrille ab. Auf der Suche nach Doreens Blick
sah sie ihr eigenes verzerrtes Spiegelbild in den Gläsern ihres Gegenübers.
Macht mich nicht
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