Menschenteufel
Und der. Aber es waren noch viel mehr. Die sind auf diesen
Bildern allerdings nicht dabei.«
»Nummer zwei und Nummer sieben«, bemerkte Varics Stimme.
Freund spürte, wie sich die Haare auf seinen Unterarmen und am Kopf
aufstellten. Er wusste genau, wer Zwei und Sieben waren.
Murnegg-Weiss und Wuster.
Zielsicher hatte sie zwei der drei Opfer identifiziert. In Freund
wuchs eine maßlose Wut auf diesen Mandtner. Wie konnte er das tun? Die Kinder
waren ihm anvertraut worden. Sie waren allein, verängstigt, viele hatten die
Eltern verloren, waren von ihren Geschwistern getrennt worden, suchten und
brauchten Schutz, Geborgenheit, Liebe. In dieser Situation fielen sie in die
Hände dieses skrupellosen Verbrechers. Mit zusammengepressten Lippen hörte er
weiter zu.
Auch Inspektorin Varic war von der Eindeutigkeit überrascht gewesen.
Sie brauchte etwas länger als üblich bis zu ihrer nächsten Frage:
»Sind Sie sicher?«
»Hundertprozentig. Glauben Sie mir, diese Gesichter vergisst man
nicht.«
Glaube ich sofort, dachte Freund.
Was hätten wir gemacht, wenn Freichl keine der Personen bekannt
gewesen wäre? Oder wenn sie jemanden der Neutralen identifiziert hätte?
Überflüssige Fragen, jetzt.
»Wurden auch andere Kinder von Direktor Mandtner zu den Männern
gebracht?«
»Wir Kinder haben nie darüber gesprochen.« Die Stimme war jetzt sehr
leise. »Aber bei drei anderen war ich mir ganz sicher. Man sieht das ja, weil
man es von sich selber kennt. Sie werden von einer Betreuerin zu Mandtner
gebracht und bleiben stundenlang, manchmal tagelang fort. Wenn sie
zurückkommen, sind sie völlig verstört, reden nichts, essen nicht oder sind
furchtbar aggressiv.«
Freund musste die Aufnahme für einen Moment unterbrechen. Es war
nicht sein erster Missbrauchsfall. Als Polizist hatte er Distanz zu wahren
gelernt. Er begriff, dass die Erlebnisse der vorletzten Nacht seine Nerven
stärker angegriffen hatten, als er sich eingestehen wollte. Trotzdem zwang er
sich weiterzuhören.
»Wer waren die anderen?«
»Martin Tarosch. An seinen vollen Namen konnte ich mich aber erst
vor ein paar Jahren wieder erinnern, als ich im Internet seine Anzeigen las.
Die beiden anderen hießen Ludmilla und Agleia. Nachnamen weiß ich nicht mehr.«
»Können Sie sich an einen Norman erinnern?«
Stille. Dann: »Ich glaube. Ein hübscher Junge. Warten Sie! Das war
doch der, den Sie mir zu Beginn gezeigt haben! Jetzt weiß ich es wieder. Er
hatte das große Glück, von dem so viele träumten, und wurde adoptiert.«
»An ihm ist Ihnen nie etwas aufgefallen?«
Wieder Pause.
»Nein. Aber das muss nichts heißen. Wir waren zeitweise über hundert
Kinder. Da kennt man nicht mehr alle so gut. Norman, wie hieß er noch mit
Nachnamen, war außerdem ein paar Jahre jünger als ich, wenn ich mich richtig
erinnere. Sie wissen ja, wie das ist. Als Kind interessiert man sich eher für
die Älteren.«
Varic bedankt sich für das Gespräch. Bevor Freund weitermachte,
holte er sich einen Kaffee. Sein Magen brauchte etwas zum Abreagieren.
Mit Martin Tarosch hatte Spazier geredet. Die Unterhaltung lief
ähnlich ab wie die erste. Mit einem kleinen Unterschied. Beim Vorlegen der
Personenbilder identifizierte Tarosch die Vier und die Sieben. Schnell und ohne
Zweifel.
Sieben war wieder Alfred Wuster. Foto Nummer vier zeigte Gerwald
Köstner.
Freund hörte die Aufnahme zu Ende. Fassungslos lehnte er sich zurück
in seinen Stuhl und starrte auf den Computer. Sowohl Freichl als auch Tarosch
hatten vor Jahren Anzeigen aufgegeben. Mehrfach. Hatte damals niemand
ordentlich ermittelt?
Für die Kollegen war es damals aber auch schwieriger gewesen. Weder
Tarosch noch Freichl wussten Namen. Die Beamten konnten ihnen keine Bilder
vorlegen. Aber wenigstens auf Köstner hätten sie bei genaueren Recherchen
stoßen können. Petzold war es schließlich auch gelungen. Natürlich war er für
sie einfacher zu finden. Sie wusste, wonach sie suchte.
Freund verstand die Kollegen. Sie waren völlig überarbeitet. Überall
wurde am Personal gespart, seit Jahren. Da kommt eine Person wie Ida Freichl.
Freund selbst hatte sie zuerst reflexartig abgelehnt. Erzählt
Schaudergeschichten. Beweise sind keine zu finden, nicht einmal Anhaltspunkte.
Fast unmöglich, weiterzukommen.
Trotzdem hatte er dabei ein komisches Gefühl. Er konnte es nicht
genau bestimmen. Etwas in ihm konnte sich nicht damit abfinden. Blieb unruhig.
Er griff zum Telefon und rief bei den Kollegen
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