Menschenteufel
einfach?
»Zu Ihnen oder zu mir?«, fragte er todernst.
Petzold wusste, dass Shackleton in der amerikanischen Botschaft im
neunten Bezirk arbeitete. Nur ein paar Schritte weiter kannte sie ein reizendes
Restaurant im Garten des ehemaligen Palais Clam-Gallas. Ideal für einen warmen
Sommertag. Sie fragte Shackleton. Er kannte das Lokal auch.
»Gehen wir dorthin«, schlug sie vor.
»Sehr gern. Ich freue mich.«
An einfachen Holzklapptischen saß man unter alten Bäumen und
blickte durch den Park auf das klassizistische Gebäude, in dem heute das
Französische Kulturinstitut residierte. Petzold hatte schnell noch einen Tisch
reserviert. Im Schutz ihrer überdimensionalen
Frühstück-bei-Tiffany-Sonnenbrille überflog ihr Blick die Gäste. Die Plätze
waren besetzt von Mitarbeitern der umliegenden Botschaften und Universitätsinstitute.
Den Verleger eines Stadtmagazins entdeckte Petzold auch.
Im schattigen Garten war es um ein paar Grad kühler als auf der
Straße. Vereinzelte Lichtpunkte tanzten auf den Tischen. Besteck klapperte,
Gespräche vermischten sich zu entspannendem Geplätscher, aus dem hin und wieder
Gelächter blitzte wie eine springende Forelle in der Sonne. Hier könnte sie gut
den restlichen Nachmittag verbringen.
Shackleton war noch nicht aufgetaucht. Petzold nahm Platz und ließ
sich die Speisekarte bringen. In einiger Entfernung ratterte eine Straßenbahn
durch die Mittagshitze.
Vor ihr stand bereits ein Glas voll Birnensaft, als Shackleton mit
einer Viertelstunde Verspätung über den Kies schlenderte. Unter dem Arm trug er
eine dünne Mappe.
Als er sie mit Schirmkappe und Brille sah, lächelte er breit.
»Sind Sie inkognito hier?«, fragte er mit seinem rollenden Akzent.
Bevor sie antworten konnte, wurde er ernst. »Ich habe gehört, was Ihnen
zugestoßen ist.«
Sein Händedruck war vorsichtig, bis sie ihn kräftig erwiderte. Er
lächelte schon wieder. »Aber ich glaube es nicht. Sie sehen hervorragend aus!«
Stimmt nicht, dachte Petzold. Umso mehr freute sie sich über sein
falsches Kompliment.
Petzold bestellte eine Krautroulade, Shackleton nahm das Gleiche.
Während des Essens schilderte Petzold dem Amerikaner die unglückliche
Liebesgeschichte der Emilie Wildschek.
»Bald können Sie ihr mehr sagen«, erklärte Shackleton. Mit der
Serviette tupfte er seine Lippen ab und legte das Besteck parallel auf den
Teller. »Die Frage ist, ob Frau Wildschek alles wissen will.«
Er schob den leeren Teller zur Seite und öffnete die mitgebrachte
Mappe.
»Ich habe von der Army tatsächlich Archivunterlagen zu dem Fall
erhalten. Lagern auf Mikrofiche gespeichert in irgendeinem unterirdischen
Bunker. Das hier sind Ausdrucke.«
Shackleton reichte ihr ein Blatt nach dem anderen. Protokolle.
Verblichene Farbfotos. In einer Bombenruine lag ein toter Mensch. Staubig. Auf
seinem Rücken ein großer dunkler Fleck. Nahaufnahmen. Der Hinterkopf, die
Schultern, daneben eine Hand. Großaufnahmen der zwei Projektile von allen
Seiten.
»Corporal Alvin Tomlins wurde am Morgen des 18. März 1948 tot
aufgefunden. Wie Sie auf den Bildern sehen, in etwas eigenartiger Position. Mit
herabgelassenen Hosen. Zumindest sieht es auf den ersten Blick so aus. Es gab
damals auch einen Verdacht, warum. Anscheinend wollte ihm jemand was
unterstellen, der oder die Täter. Das hing wohl mit seinen Ermittlungen
zusammen. Trotzdem hat der Trick funktioniert. Wegen der schlüpfrigen
Inszenierung hielt die amerikanische Militärpolizei den Fall von der
Öffentlichkeit fern.«
Er zeigte auf eines der Bilder. »Auch wenn man auf den Bildern gut
Schleifspuren sehen kann, die annehmen lassen, dass die Hosen erst
hinuntergezogen wurden, als er bereits am Boden lag.«
»Aus den österreichischen Archiven geht nicht hervor, ob der Fall
gelöst wurde.«
»Der oder die Täter wurden nie gefunden. In Gesprächen mit seinen
Freunden und Kameraden fand man immerhin heraus, dass er einem oder mehreren
Kinderschändern auf der Spur gewesen sein musste. So deutlich hat er es selber
wohl nie gesagt. Das sind aber nur Annahmen aus Andeutungen, die er machte, wie
Sie den Protokollen entnehmen können. Wahrscheinlich sollten die losen Hosen
ihn selbst in diese Richtung rücken. Nach dem Motto: in flagranti erwischt oder
so. Wie gesagt, eine plumpe Irreführung.«
Petzold musste an Colin Shorts Brustverletzungen denken. Noch so ein
ungeschickter Täuschungsversuch. Eine eigentümliche Parallele, fand sie, die
aber auch nur Zufall sein
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