Menschenteufel
verwackeltes Lichtband
über die Betten. So sollte es immer bleiben! Zu viele hatten nicht dieses
Glück. Beim Gedanken an jene Kinder, die er vor wenigen Stunden befreit hatte,
schnürte es ihm sein Herz zusammen. Ihre Blicke hatten sich unauslöschlich in
sein Gedächtnis gebrannt. Wie musste es ihren Eltern gehen? Wenn sie noch lebten.
Ohne Wissen um das Schicksal ihrer Kinder. Vergeblich suchend. Viele hatten
nicht einmal die Möglichkeit dazu. Saßen fest in Flüchtlingsheimen oder
Schubhaft, in fernen Ländern. Vielleicht, noch schlimmer, hatten sie ihr
Teuerstes in die Fremde geschickt, mit der Hoffnung auf ein gnädiges Schicksal.
Oder waren von ihren Kindern losgerissen worden, ohne Aussicht, sie jemals
wiederzusehen. Freund musste an Petzolds Geschichten der Kriegs- und
Nachkriegsverlorenen denken. Noch sechzig Jahre später waren Kinder auf der
Suche nach ihren Eltern. Lebenslang.
Er wusste nicht, wie lange er so gesessen hatte. War er eingenickt?
Endlich erhob er sich. Behutsam zog er Clara, die ihre Decke wie üblich bis zu
den Füßen gestrampelt hatte, das Tuch über die Schulter und hauchte ihr einen
Kuss auf die Stirn. Nachdem er auch Bernd mit einem solchen bedacht hatte,
verließ er den Raum so lautlos, wie er gekommen war.
Nebenan schnarchte sein Vater leise. Zum ersten Mal in seinem Leben
freute sich Freund über den Anblick der zahnlosen Höhle zwischen den faltigen
Wangen. »Schlaf gut«, flüsterte er.
Er legte seine Nachtshorts an und kroch ins Bett. Im Halbschlaf
kuschelte sich Claudia an seinen Rücken. Sie schlang ihren Arm um seine Brust
und atmete gleich darauf wieder tief und gleichmäßig. Noch bevor Freund seine
Lider vollständig geschlossen hatte, war er eingeschlafen.
Was ist denn jetzt schon wieder passiert?
Verschlafen blinzelte Petzold zur Decke. Zum ersten Mal seit
Tagen fühlte sie sich halbwegs erholt. Ein paar Minuten blieb sie liegen und
sah den Lichtspielen in den Spalten des Rollos zu. Durch ihren Geist zogen die
Bilder der vergangenen Tage. Nach Boderts Tod feierten die Medien die
Aufklärung des Falls. Von den restlichen Ereignissen wusste bislang nur eine
einzige Journalistin. Doreen hatte sich die Story verdient.
Petzold schwang sich aus dem Bett. Vor der Wohnungstür klaubte sie
die Zeitung auf. Doreens Geschichte nahm die gesamte Titel- und vier
Folgeseiten ein.
Petzold kochte sich einen Espresso und begann zu lesen.
Namentlich wurden nur einige Verdächtige genannt. Noch lagen zu
wenige Beweise vor. In Grundzügen wurde der Lauf der Geschichte jedoch
nachgezeichnet. Zum Einstieg waren Verhaftung und Tötung des Chimärenmörders
Norman Bodert zusammengefasst, über die schon am Vortag ausführlich geschrieben
worden war. Den Albaner Dragan K. belastete nicht nur die mitgeführte
Schusswaffe, am Anschlag auf Bodert beteiligt gewesen zu sein. Ein DNS -Vergleich legte nahe, dass er das Attentat auf
Colin Short im Krankenhaus verübt hatte. Gestanden hatte der Staatsanwalt H.,
Martin B. von der bevorstehenden Verhaftung des Chimärenmörders informiert
zu haben. Dann kam der bislang unbekannte Teil der Geschichte.
Der Österreicher Martin B. stand im Verdacht, seit Jahrzehnten
eine ausgesuchte Klientel mit Kindern zu beliefern. In groben Zügen schilderte
der Artikel die Organisation des internationalen Kinderhändlerrings und seiner
Kunden. Möglich geworden war das erst durch die Entwicklung des Internets.
Menschenhändler hatten die Vernetzungs- und Vertriebsmöglichkeiten des neuen
Mediums für ihre Zwecke erkannt. Durch sie erhielten einzelne Täter oder
Tätergruppen viel einfacheren Zugang zu neuen Opfern als früher. Kinder wurden
auf den eigens eingerichteten Seiten gehandelt wie Bücher oder Digitalkameras.
Mehrmals hatten Freund und sie in den letzten Tagen Martin Bram
befragt. Sein Handy war doch noch gefunden worden. Er war auch in der
schrecklichen Nacht angerufen worden. Von einem Mobiltelefon in Köstners Villa.
Seine Idee war es gewesen, sie und Freund bestialisch zu ermorden. Dank
Holtenstein war er über jedes Detail der Ermittlungen unterrichtet gewesen.
Nach dieser Erkenntnis durften sie nicht mehr zu ihm in den Verhörraum. War
auch besser so.
In fünf Ländern waren siebenundachtzig Kinder zwischen zwei und
vierzehn Jahren befreit worden. Sie stammten aus ehemaligen Ostblockstaaten und
der Dritten Welt. Zur Enttäuschung vieler war kein verschwundenes Kind aus
Westeuropa dabei. Am österreichischen Standort fanden sich weitere DNS
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