Menschenteufel
achtzehn Uhr meldete das letzte internationale
Beschatterteam die Ankunft ihrer Zielobjekte in ihrem Versteck.
Zehn Minuten später klingelte in der Wiener Villa die Türglocke.
Der Dolmetscher beschwor Alena, nichts von den fremden Männern und
Frauen zu erzählen. In zwei Stunden würden sie kommen und Alena befreien. Bis
dahin musste sie nur ruhig bleiben.
Alena ließ Petzold nicht los. Diese drückte das Kind ganz fest und
schob es dann sachte von sich. Zwei Polizisten mussten die Weinende mit sanfter
Gewalt vom Hals der Inspektorin lösen. Petzold wandte sich ab. Ihre Tränen
waren Freund nicht entgangen.
Er musste an Norman Bodert denken. Hatte er als Kind das gleiche
Drama erlebt? Immer und immer wieder? Was für eine grausame Rache er genommen
hatte. Und welchen Preis er dafür bezahlen musste.
Als der Kunde das zitternde Kind dem Lieferanten übergab, wollte
Freund die Augen schließen. Am liebsten wäre er nie wieder aus seinem Versteck
im Garderobeschrank gekrochen, so sehr schämte er sich.
Während der Mann vor der Tür wartete, montierte auf der Straße ein
Beamter unauffällig den Peilsender an den Lieferwagen. Kaum hatte der Kurier Alena
auf der Ladefläche verstaut und war losgefahren, sprangen Freund und Petzold in
ihren Wagen. Gemeinsam mit drei weiteren Fahrzeugen und einem Hubschrauber in
ausreichender Höhe nahmen sie die Verfolgung auf.
Bald stellte sich heraus, dass sie tatsächlich an den Ort
zurückfuhren, wohin die erste Beschattergruppe den Lieferanten bereits verfolgt
hatte. Freund klinkte sich in das internationale Kommunikationsnetz ein und
berichtete. Das Ende der Operation stand unmittelbar bevor.
Das ehemalige Gutshaus lag in der Hügellandschaft des Wienerwaldes
abseits jeder Ortschaft, eine Stunde südwestliche von Wien. Eine Mauer rundum
verwehrte weitere Einblicke.
Sie warteten auf die Informationen aus dem Hubschrauber.
Beide waren wieder im Haus.
Um halb acht am Montagabend gab Freund den Einsatzbefehl in fünf
Ländern.
Sie stießen auf keinen Widerstand. Vollkommen überrumpelt
ergaben sich die drei Bewacher mit erhobenen Händen. Auf die Fragen der
Polizisten antworteten sie in gebrochenem Deutsch. Über ihre Auftraggeber wollten
sie gar nichts sagen.
Im Keller entdeckten sie neunzehn Kinder. Das jüngste konnte nicht
älter als zwei Jahre sein. Die älteste schätzte Freund auf zwölf. Vor den
Polizisten duckten sie sich ängstlich. Erst als Petzold und eine weitere
Beamtin eintraten, wich die größte Angst aus ihrem Blick. Diese Blicke würde
Freund nie vergessen.
Je drei waren in kleine Zimmer zusammengesperrt. Die Räume wirkten
sauber und gepflegt. Polizisten brachten die Kinder zu den wartenden Wagen.
Im Minutentakt trudelten die Erfolgsmeldungen von den anderen
Standorten ein. Nebeneinanderstehend blickten Freund und Petzold den
abfahrenden Wagen mit den Kindern nach.
»Hätten Sie so etwas erwartet, als Sie vorletzte Woche zu Ihrem
Einsatz gerufen wurden?«
»Und Sie?«
Freund reichte ihr die Hand.
»Sie haben verdammt gute Arbeit geleistet.«
Sie lief rot an. »Danke.«
»Haben Sie schon einmal daran gedacht, in eine Mordkommission zu
wechseln?«
Kurz vor Mitternacht lag die Hütte finster am Fuß der
Weingärten. Seine Familie schlief. Tief inhalierte Freund die frische Luft und
lauschte dem Konzert der Grillen. Zum ersten Mal in diesem Jahr roch er einen
Anflug des Herbstes. In dieser Jahreszeit mochte er die Stadt besonders. Das
Laub der Reben würde sich gelb und rot färben, die Morgenluft frisch und kühl
aus dem Gras steigen.
Noch standen die Bilder der vergangenen Stunden vor seinem inneren
Auge. Ein paar Stunden würden sie ihn verfolgen und langsam verblassen, bis sie
ihn in den kommenden Wochen überraschend und mit Wucht wieder bedrängen würden.
Er kannte das von früher und hatte damit umzugehen gelernt. Hoffentlich auch
dieses Mal. Noch nie hatten sie eine solche Gewalt besessen. Er wünschte sich,
nie wieder Vergleichbares erleben zu müssen. Dagegen waren seine körperlichen
Verletzungen Streicheleinheiten.
Durch die Wohnküche, in der Claudia auf dem Ausklappbett ruhte,
schlich er in den hinteren Teil des Häuschens. Leise öffnete er die
Kinderzimmertür. Mit unschuldigen Mienen schlummerten Clara und Bernd in der
Dunkelheit. Neben der Tür sank Freund in einen Stuhl mit Bernds schlampig
hingeworfener Kleidung. Aufmerksam lauschte er ihrem leisen, regelmäßigen Atem.
Durch einen Spalt in den Vorhängen warf der Mond ein
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