Menschenteufel
besprechen.
Vielleicht fällt denen noch etwas dazu ein. Apropos Einfall: Es gibt doch einige
Wiener Märchen und Sagen, in denen der Teufel eine Rolle spielt. Eine
Geschichte um den Stock-im-Eisen-Platz zum Beispiel, wenn ich mich recht
erinnere.«
»Ich lasse jemanden aus der Recherchetruppe Exzerpte schreiben«,
sagte Freund.
»Und was von alldem gilt jetzt für uns?«, stöhnte Spazier. »Das
Prinzip des Bösen, Fruchtbarkeit, panischer Schrecken, Lüsternheit,
künstlerische Interpretation des Themas, Märchen und Sagen …«
Freund stellte sich ans Flipboard und griff sich einen Marker. »Also
dann.«
Seine Kollegen begannen die Stichwörter der Diskussion zu
wiederholen, und Freund fasste sie in Begriffsgruppen zusammen.
»Eines kann ich Ihnen auf jeden Fall sagen, Ihre Frage nach
möglichen Botschaften des Täters noch einmal aufgreifend«, sagte der
Psychologe. »Diese Nachricht schickt er uns aber wahrscheinlich nicht bewusst.
Auch wenn es angesichts des Verbrechens den Anschein haben mag, ist der Täter
nicht verrückt. Eine solche Tat wird weder unter dem Einfluss einer akuten
Psychose oder ähnlicher Zustände begangen noch im Affekt. Wer immer das getan
hat, ist kontrolliert, intelligent, plant, wägt Risken ab, handelt mit Kalkül.
Welche Emotionen auch immer bei dem Mann ausgelöst wurden, er hat sie unter
Kontrolle.«
»Also kein Berufen auf Unzurechnungsfähigkeit.«
»Er weiß, was er tut. Ihm ist bewusst, dass er das Gesetz bricht,
dass er eine Grenze überschreitet. Mehr als eine Grenze, wenn man sich diese
Bilder ansieht.«
»Aber es ist ihm egal.«
»Vielleicht nicht einmal. Aber das andere ist ihm wichtiger. Seiner
Schuldfähigkeit ist er sich bewusst. Vermutlich macht er sich darüber aber
nicht viele Gedanken.«
»Oder sie.«
Freunds Telefon spielte wieder einmal Dave Brubecks Siebenvierteltakter.
Das Gespräch war kurz. Er legte auf.
»Die Gerichtsmedizinerin hat Neuigkeiten für uns. Begleiten Sie uns,
Doktor Blilorek?«
Zwischen der südöstlichen Ecke des Triangels, das der neunte
Wiener Gemeindebezirk bildete, in der Freunds Büro lag, und der südwestlichen
Ecke, die von den Komplexen des alten und neuen Allgemeinen Krankenhauses
beherrscht wurde, lagen nur ein paar hundert Meter. Freund genoss jeden
einzelnen davon, während die Klimaanlage des Wagens seinen überhitzten Körper
abkühlte. Irgendwann würde er sich eine furchtbare Verkühlung einfangen.
Parallel zur berühmten Berggasse, der einstigen Wirkungsstätte Sigmund Freuds,
der diesen Fall wohl mit größtem Interesse verfolgt hätte, fuhren sie die
Türkenstraße und die Hörlgasse hinauf. Mitleidig verfolgte Freund die Passanten
auf dem Bürgersteig, die sich durch die backofengleiche Hitze quälten. An der
Rückseite des alten Allgemeinen Krankenhauses, das zu einem Unicampus umgebaut
worden war und in dessen grünen Innenhöfen man sich im Schatten alter Bäume auf
den Stühlen von Bierlokalen und Kaffeehäusern erfrischen konnte, begann auch
Freund von einem kühlen Gespritzten zu träumen. Varic steuerte das Auto durch
die Währinger Straße bis zur Sensengasse, in der sich das gerichtsmedizinische
Institut befand.
So altehrwürdig das Gebäude des Instituts war, der Beschauraum
glänzte in moderner Sterilität. Doktor Romana Wanek erwartete sie zwischen zwei
Obduktionstischen. Auf einer davon lag der Körper. Oder musste man sagen die
Körper? Die Körperteile?
Unter dem kalten Neonlicht wurden selbst Lebende oft zu Dingen, fand
Freund. Das machte den Anblick der Toten für ihn etwas erträglicher.
»Kommen Sie ruhig näher.«
Die Truppe stellte sich rund um den Tisch auf.
Mensch und Tier waren von der Ärztin nicht vollständig getrennt
worden. Zwischen den beiden Teilen konnte man nun einen Schlitz erkennen. Im
rechten Winkel dazu spaltete ein weiterer den Oberkörper bis zum Hals und den
Bockunterleib bis zu dessen Geschlecht. Ein Kreuz im Teufel, bemerkte Freund,
behielt es aber für sich. Neben dem Kopf lagen die Hörner.
»Da liegt er also, der Leibhaftige«, bemerkte Spazier. »Hat er sich
schließlich selbst geholt.«
»Endlich konnten Sie das personifizierte Böse fein säuberlich in
seine Einzelteile zerlegen«, meinte Wagner.
»Mehr weiß ich jetzt trotzdem nicht darüber.«
Wanek trug noch die Handschuhe von der Obduktion.
»Der verbliebenen Körpertemperatur zufolge trat der Tod gestern
spätabends ein. Also vermutlich erst kurz bevor er auf die Jesuitenwiese
gebracht wurde. Das
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