Menschenteufel
Möglichkeit«, wandte Spazier ein.
»Oder die Täterin«, ergänzte Blilorek und fuhr fort: »Und die Hörner …«
»Jemandem die Hörner aufsetzen«, ergänzte Spazier das Bild.
»Genau.«
»Vielleicht komplettieren sie aber auch nur die Figur«, sagte Varic.
»Sieht ja aus wie ein Teufel.«
»Alter Bock fällt mir dazu ein«, meinte Spazier.
Blilorek grinste. »Deftig, aber nicht abwegig.«
Nun hielt auch Wagner nicht länger still. »Das habe ich schon vorher
gesagt. Vielleicht stellt es eine antike Götterfigur wie Satyr dar. Ich habe
mir schon einiges zusammengeschrieben und ausgedruckt.«
»Dann helfen Sie meiner verblassten Schulbildung auf die Sprünge,
Herr Inspektor.«
Spazier stöhnte auf. »Aber mach es kurz.«
Ein Blick Freunds wies ihn zurecht.
Wagner blätterte seine Papiere kurz durch. »Eigentlich gibt es drei
verschiedene Gestalten: Satyr, Faun und Pan. Ich fange mit den ältesten an. In
der griechischen Mythologie sind Satyrn Waldgeister im Gefolge des Dionysos.
Sie saufen gern und stellen den Nymphen nach. Sie verkörpern das üppige und
ausgelassene Naturleben. Bekannt sind sie für ihre animalische Lüsternheit.
Ältere Satyrn werden auch Silene genannt.«
»Ich sag ja: alter Bock«, warf Spazier ein. »Geiler alter Bock.«
»In späterer Zeit wurden Satyrn und Satyrisken oft mit den Panen und
Panisken verwechselt. Infolgedessen stellte man sie mit Hörnern und Bocksfüßen
dar. Und die römischen Dichter haben sie mit den Faunen gleichgesetzt. Womit
wir schon bei den zwei anderen wären. Pan ist in der griechischen Mythologie
der Hirtengott. Zur seiner Abstammung gibt es mehrere Versionen …«
»… die wir uns hier jetzt sparen können«, warf Spazier ein.
Wagner quittierte die Bemerkung mit einem bösen Blick, schien sie
aber zu beherzigen.
»Pan war eigentlich ein freundlicher Geselle, der Musik, Tanz und
Fröhlichkeit mochte. Der Mittag war ihm allerdings heilig. Wenn er da gestört
wurde, jagte er die Herdentiere auf. Daher kommen diverse Ausdrücke wie der
panische Schrecken, die panische Furcht und die Panik. Auch er ist für seine
Wollust bekannt und daher oft in der Gesellschaft von Nymphen und Satyrn. Nach
ihm ist auch die Panflöte benannt. Der Sage nach verfolgte er die Nymphe Syrinx
bis zum Fluss Ladon, wo sie sich in Schilfrohr verwandelte. Durch den Wind
brachte das Rohr klagende Töne hervor. Um die Klänge für immer zu behalten,
zerbrach er das Rohr in sieben verschieden lange Teile und band sie zur Flöte
zusammen. In seinen ›Metamorphosen‹ erzählt Ovid die Geschichte vom musikalischen
Wettstreit zwischen Pan und Apollon. Der Berggott Tmolos erklärte Apollon zum
Sieger und stellte die Leier über die Flöte. Der zufällig anwesende König Midas
ist mit dem Urteil nicht einverstanden. Daraufhin bestraft ihn der beleidigte
Apollon mit Eselsohren. Johann Sebastian Bach hat diese Erzählung übrigens in
seiner wunderbaren Kantate ›Der Streit zwischen Phoebus und Pan‹ vertont.«
Freund erinnerte sich, dass ihn die Kantate bei einem Konzert im
Musikverein eher gelangweilt als verzaubert hatte.
Wagner sortierte seine Unterlagen noch einmal um. »Noch schnell zum
Faunus: Auch als Wolfsgott bekannt, ist er der altitalienische Gott der freien
Natur, der Beschützer der Bauern und Hirten, ihres Viehs und ihrer Äcker. Am
15. Februar fand alljährlich ein Fest zu seinen Ehren statt, die
Lupercalia. Sein weibliches Gegenstück ist Fauna. Wie Pan und Satyr sorgt er
für die Fruchtbarkeit und erschreckt die Menschen, auch durch böse Träume. In
römischer Zeit wurde er dann ähnlich dem Satyr dargestellt: ein Mischwesen,
halb Mensch, halb Ziege. Zu allen drei Figuren gibt es zahlreiche künstlerische
Darstellungen und Interpretationen aus jedem Zeitalter. Hoffentlich ist nicht
eine davon für uns relevant, denn dann können wir lange suchen.«
»Vielleicht ist nichts davon für uns relevant«, fügte Blilorek
hinzu. »Es könnte sich auch um den Teufel persönlich handeln.«
»Auch das haben wir uns natürlich überlegt«, erklärte Freund. »Dazu
habe ich schon ein wenig recherchiert.« In kurzen Worten erzählte er, was er
sich über den Teufel gemerkt hatte.
»Ich muss mich erst in Satanismus einarbeiten«, bemerkte der
Psychologe. »Vielleicht hat es ja auch damit zu tun. Kann durchaus sein, dass
wir es nicht mit einem persönlichen Motiv zu tun haben, sondern mit einer
Ritualisierung. Ich würde den Fall gerne mit meinen Mitarbeitern
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