Menschenteufel
Vorstellung. Auf einmal war
ihm in dem klimatisierten Raum viel zu kalt.
»Und die Hörner?«
»Stammen von einem Ziegenbock. Anzunehmen, dass sie vom selben Tier
sind wie die Beine. Ich würde es wenigstens so machen. Ein DNS -Test wird das klären.«
»Wie wurden sie am Kopf angebracht?«
»Vermutlicht wurde mit einem Meißel oder etwas Ähnlichem
vorgearbeitet, um den Schädelknochen zu öffnen. Dann wurden sie einfach
hineingerammt.«
»War er währenddessen auch …«
»Zu diesem Zeitpunkt war er wohl schon bewusstlos. Das Blut rund um
die Wunden und am Kopf sieht zwar nach viel aus, ist es aber nicht.
Wahrscheinlich fand die Aktion unmittelbar nach dem Zusammennähen der
Körperteile statt. Da war der Blutkreislauf schon schwach, fast nicht mehr
existent. Es reichte aber für die Schweinerei, die wir am Tatort gesehen haben.
Der Flussrichtung des Blutes nach können wir davon ausgehen, dass er während
der Prozedur gelegen hat.«
»Woran ist er schließlich gestorben?«
»Das Abklemmen und Umleiten der Hauptblutgefäße im Unterleib war nur
provisorisch. Letztendlich ist er innerlich verblutet. Ich vermute dahinter
Absicht. Der Täter wollte lediglich, dass Wuster noch mitbekam, was mit ihm
geschah.«
»Nicht nur ein verdammter Irrer«, zischte Wagner zwischen den Zähnen
hervor. »Sondern auch noch ein Sadist.«
»Was ist jetzt mit den besonderen Fäden?«
»Tja, das ist die nächste Überraschung. Es sind eigentlich keine
Fäden, wie man sie für eine Operation verwenden würde. Es ist nicht einmal ganz
gewöhnliches Garn.«
Mit einer kurzen Pause verlieh sie ihrer nächsten Aussage das
notwendige Gewicht. »Es sind Haare. Lange Haare. Ich habe sie für eine DNS -Analyse bereits zur Technik geschickt.«
»Für einen Gentest? Wozu das?«
»Weil sie ziemlich sicher von einem Menschen stammen.«
In Freunds Kopf wurde es leer. Abwesend registrierte er die
entsetzten Blicke seiner Kollegen. Lange Haare. Wusters Haare waren kurz. Das
Nähmaterial musste demnach von einer anderen Person stammen als vom Opfer.
Durch seine Gedanken wirbelten die möglichen Erklärungen für dieses Vorgehen.
Und keine davon war angenehm.
»Sind sie sicher nicht vom Bock?«, fragte Marietta Varic. Ihr
Gesicht war bleicher und durchsichtiger als das weiße Neonlicht an der Decke.
»Der hat doch längere Haare, unter dem Kinn, am Bauch, am Schwanz.«
»Tut mir leid, das kann man unter dem Mikroskop sehr schnell
feststellen. Ziegenhaar hat eine ganz andere Struktur und unterscheidet sich
auch im Querschnitt.«
»Dann sind sie also von einem anderen Menschen.«
»Vielleicht vom Täter selber«, mutmaßte Wagner. »Oder doch von einer
Täterin. Sie sagten, es seien lange Haare.«
»Das wird uns der DNS -Test sagen«,
erklärte die Ärztin.
»Fällt Ihnen dazu etwas ein, Doktor Blilorek?«, wandte Freund sich
an den Psychologen.
Schweigend starrte der Mann in Schwarz auf den zweigeteilten
Leichnam. Schließlich sagte er: »Haare sind ein extrem sexuelles Symbol. Denken
Sie an die Erotik langer Haare bei Frauen. Aber auch ein Symbol der Energie,
jeder von uns kennt die berühmte Passage aus der Bibel über Samson, der mit den
Haaren auch seine Kraft lassen muss. Aber die Verwendung als Faden zum Nähen,
und noch dazu um, hm, Mensch und Tier zu verbinden …«
»Wenn die Haare vom Täter oder von der Täterin sind«, mischte
Spazier sich ein, »hätten wir eine phantastische Spur.«
»Nur, wenn seine oder ihre DNS schon
irgendwo registriert wäre«, wandte Freund ein.
»Oder sie stammen von einer dritten Person. Aber wer könnte das
sein? Warum wurden seine oder ihre Haare verwendet?«
»Mir fallen verschiedene Gründe ein«, erwiderte Freund. »Eine Art
Opfergabe, vielleicht von einem bereits verstorbenen Menschen.«
»Oder simpler Mangel an richtigen Fäden«, schlug Wanek vor.
»Ein Experiment«, beteiligte sich Varic am Ratespiel.
Warum tanzen wir um den heißen Brei? Wagt niemand auszusprechen, was
jeder fürchtet?
»Ein Hinweis auf eine andere Person ist es auf jeden Fall«, sagte
Freund. »Womöglich auf ein weiteres Opfer.«
Dichtes Schweigen breitete sich in dem kühlen Raum aus. Alle Blicke
richteten sich wieder auf den Kadaver. Wenn er bloß sprechen könnte! Manchmal,
in besonders hoffnungslosen Situationen, glaubte auch Freund daran, dass es
eine Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten gab. Wir haben sie nur
abreißen lassen, dachte er dann. An Séancen hatte er allerdings noch
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