Menschenteufel
nie
teilgenommen. Auch an Wiedergeburt glaubte er nicht, wenigstens nicht im
religiösen Sinn.
»Dann solltet ihr euch beeilen, es zu finden«, erklärte die Gerichtsmedizinerin
lapidar.
»Wenn das Haar von Täter oder Täterin, von einer toten oder
unbeteiligten Person ist, wird es schwierig, diese zu finden. Wenn es von einem
möglichen weiteren Opfer ist, haben wir vielleicht eine Chance. Überprüft alle
Vermisstenanzeigen der letzten Zeit, beginnend ab heute. Alle Personen mit
langen Haaren kommen in Frage, Frauen und Männer, bis wir die Genanalyse
haben.«
Freunds Handy spielte den »Unsquare Dance«. Am anderen Ende meldete
sich einer der Polizisten aus dem Rechercheteam.
»Wir wissen, woher der Ziegenbock stammt.«
»Und?«
»Aus einem Streichelzoo am Cobenzl. Und da gibt es noch …«
»Wunderbar, wir sprechen später darüber, ich muss zur
Pressekonferenz.«
»So lange wird es noch warten können.«
»Bereiten Sie alles auf. Nach dem Pressetermin komme ich zurück in
die Zentrale.«
Wer soll das sein?
»Voilà«, rief Präbichler. »Coulditbe.«
Zuerst hatten sie das Pseudonym gegoogelt. Doch die
Internetsuchmaschine hatte nichts gefunden. Also hatte Präbichler in den
Protokolldateien vom Laptop des Amerikaners die Arbeitsschritte der letzten
Tage durchsucht, angefangen beim jüngsten.
So waren sie auf der giftgrünen Webseite gelandet. Neben langen
Textabsätzen prangten alte Schwarz-Weiß-Portraits, manche mit krakeligem
vergilbtem Rahmen, wie sie die Großeltern im Fotoalbum hatten. Männer in
Uniformen, Frauen mit Frisuren der vierziger Jahre.
»Was ist das?«
»Eine Seite, auf der vermisste Menschen gesucht werden«, murmelte
Petzold. »Das ist die Abteilung für solche, die im oder nach dem letzten
Weltkrieg verschwunden sind. Aber wo ist Short?«
»Irgendwo auf der Seite. Wir müssen sie durchsuchen.«
»Über sechzig Jahre danach … Sieh dir das an …«
Von einem zerkratzten, verknitterten Bild grinsten zwei Soldaten.
Der Kopf des linken war von einer schwarzen Linie eingekreist.
»Ich suche meinen Vater. Nach dem Zweiten
Weltkrieg war er in Wuppertal in Deutschland stationiert. Meine Mutter hatte
ein Verhältnis mit ihm, das er beendete, als sie schwanger von ihm wurde. Er
hatte eine Frau und zwei Kinder in Amerika. Ich habe meinen Vater nie
kennengelernt. Bis zu ihrem Tod hat mir meine Mutter seinen Namen nie gesagt
oder mir ein Bild gezeigt. Das Foto habe ich erst in ihrem Nachlass gefunden.
Wer kennt den Mann auf diesem Bild? Wer kann mir bitte weiterhelfen? Vielleicht
ist mein Vater schon tot, aber ich wüsste trotzdem gern, wer er war.«
Über Petzolds Rücken lief ein kalter Schauer. Über sechzig Jahre
war die Frau jetzt alt. Wahrscheinlich lebte der Vater nicht mehr. Aber sie
wollte wissen, wer er gewesen war, warum er das getan hatte. Sie musste
Halbgeschwister haben. Sahen sie ihr ähnlich?
Petzold schob Präbichlers Finger zur Seite und scrollte jetzt selber
weiter.
»Mein Gott«, flüsterte sie. »Es sind so viele!«
Die Suchanfragen unterschieden sich in Tonalität und Stil. Waren
einige bittend, klang in einer anderen Zorn durch.
Wieder zeigte ein Bild einen jungen Militär.
»Ich suche meinen Vater. Er war von 1948 bis
1951 in Würzburg stationiert. Meine Mutter will mir nicht helfen. Kennt jemand
diesen Mann? Ich vermute, dass ich meinem Vater sehr ähnlich sehe, denn ich
habe nichts von meiner Mutter.«
Petzold war mit zwei Elternteilen aufgewachsen. Wie jede Jugendliche
hatte sie ihre Auseinandersetzungen mit ihnen gehabt. Wie jede Erwachsene
haderte sie mit manchen ihrer Eigenschaften und Ansichten. Aber sie kannte
beide. Liebte beide. Konnte beide lieben. Erinnerte sich an viele Momente
gemeinsamen Glücks und das Gefühl von Geborgenheit. Sie hatte alle ihre
Großeltern kennengelernt. Auch wenn die Großmutter väterlicherseits und der
Großvater mütterlicherseits mittlerweile gestorben waren, trug sie die beiden
in ihrem Herzen. Sogar von einer Urgroßmutter war sie noch auf den Knien
geschaukelt worden. Auch wenn sie nicht wusste, ob viele ihrer Erinnerungen
nicht eher von den Fotos aus den Familienalben stammten, so wusste sie heute
doch eines: Nie hatte ihr jemand gefehlt. Nie hatte sie sich Gedanken darüber machen
müssen. Oder auf die Suche begeben. Diese kurzen, einfachen Texte vor ihr
erzählten dramatischere Geschichten als mancher Roman. Fasziniert las sie
weiter. Eine Frau hatte nach dreißig Jahren Suche ihren Vater in
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