Menschenteufel
»Gegner«. Über die Herkunft des Teufels
herrschte Uneinigkeit. Manche Religionen sahen ihn als Prinzip des Bösen, das
dem guten Gott seit Anbeginn gegenübersteht. Aber sowohl Juden als auch
Christen kannten außerhalb ihrer Schriften auch die Geschichte des Engels, der
von Gott verstoßen wird. Künstler aller Epochen hatte dieses Drama inspiriert.
Freund konnte sich nicht erinnern, welche Version ihm seine Religionslehrerin
erzählt hatte. Für manche war auch die Schlange, von der Eva und Adam im
Paradies den Apfel eingeredet bekamen, eine Erscheinungsform des Teufels.
Sein Eiskaffee war schon wieder lauwarm. Den Teufel hatte Freund
sich eindeutiger vorgestellt. Die ausführlichste Darstellung fand sich wohl im
Buch Hiob des Alten Testaments. Die Fabel hatte Freund immer gehasst und ihm
Gott ziemlich unsympathisch gemacht. Warum erlaubte der Gute dem Bösen, Hiobs
Glauben durch sadistische Unglücksschläge auf die Probe zu stellen? Der
Vergleich Satans im Korintherbrief des Neuen Testaments mit einem Engel des
Lichts war ihm neu. Schließlich stand »Luzifer« für den lateinischen
»Lichtbringer«. Die Bezeichnung ging auf alte babylonische Namen für die Venus,
den Morgen- oder Abendstern zurück.
Interessante Rolle, dachte Freund. Was für eine Bedeutungsänderung
hatte hier stattgefunden? Düster meinte er sich an eine Fernsehreportage zu
erinnern, in der Satanisten dem Teufel eine positivere Rolle zuschrieben.
Darüber musste er sich auch informieren. Am Ende hatten sie es mit dem Ritual
eines finsteren Kults zu tun?
In den Evangelien wird auch Jesus vom Teufel versucht und in
Gleichnissen erwähnt. Vom 15. bis ins 18. Jahrhundert hinein trug der
christliche Glaube an die Existenz des Teufels wesentlich zu den damaligen Hexenverfolgungen
bei.
Auf der Tischplatte begann Freunds Handy zur Melodie des »Unsquare
Dance« zu tanzen. Der Pepe.
»Wie geht es ihnen mit dem Teufel vom Prater?«
»Identifiziert. Sonst noch nichts.«
»Das will ich nicht hören. Um fünf Uhr halten wir eine Pressekonferenz
ab. Wir müssen der Meute ein paar Brocken hinwerfen. Als Leiter der
Sonderkommission sind Sie natürlich dabei. Eine Viertelsunde vorher Treffpunkt
in meinem Büro für ein kurzes Update.«
Dieser Teufel würde ihnen in den nächsten Tagen die Hölle
heißmachen. Der Teufel im Allgemeinen, so der Wikipediaartikel weiter, wurde
manchmal auch als der Archetypus des lüsternen und potenten Mannes gedeutet
sowie als Symbol für die inneren Triebe und Kräfte der Menschen. In der
zeitgenössischen theologischen Reflexion habe er allerdings keine nennenswerte
Bedeutung mehr. Zu unseren Päpsten und Priestern ist das aber noch nicht
vorgedrungen, dachte Freund. Interessiert las er, dass dem Islam das Gegenspiel
von Gott und Teufel, von Gut und Böse in dieser Form nicht bekannt war. Für die
Mohammedaner war Schaitan ein Geschöpf Gottes, das bis zum Tag des jüngsten
Gerichts die Menschen verführen darf.
Freund gefiel die Idee der Jesiden, dass die Gestalt des Bösen gar
nicht existierte. In ihrer Vorstellung konnte ein starker, allmächtiger Gott
keine andere Kraft neben sich existieren lassen. Bei Gelegenheit musste er aber
einmal nachlesen, wie diese Glaubensrichtung das erklärte, was die anderen mit
dem Bösen bezeichneten und gern im Teufel personifizierten. Schließlich wurde
noch der Zarathustrismus erläutert, aus dem gewisse jüdische und damit
christliche Themen übernommen worden waren. Er wollte gerade zum Satanismus
weiterklicken, als jemand an die Tür klopfte.
»Etwas Vergleichbares habe ich noch nie gesehen oder davon
gelesen«, erklärte Doktor Anton Blilorek nach dem ersten eingehenden Blick auf
die Tatortfotos. Als er zu Freund gekommen war, hatte dieser auch Varic, Wagner
und Spazier dazugerufen. Über den Raum verteilt folgten sie Bliloreks
Ausführungen.
Der Psychologe des Bundeskriminalamtes schob die sehnigen Hände tief
in die Taschen seiner Jeans, die einmal schwarz gewesen sein mochten und um
seine dünnen Beine schlotterten. »Habt ihr schon an Interpol weitergegeben, ob
die was Ähnliches in den Datenbanken haben?«
»Natürlich.« In so einem Fall war das eine der ersten Maßnahmen.
»Gehen Sie eigentlich nie in die Sonne, Doktor?«
Vor dem dunklen Poloshirt wirkten die knochigen Arme des Mannes wie
die von Sonne und Salzwasser gebleichten Äste an einem lanzarotischen
Lavasandstrand. Doktor Blilorek spielte mit einer Bartsträhne herum und grunzte
etwas
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