Menschenteufel
einmal nachgedacht. Bei den herrschenden Temperaturen jedoch kam
das einem Marsch durch die mittägliche Sahara gleich. Interessant, dachte
Freund, wie außergewöhnliche Umstände einen neuen Rahmen für Alltägliches
schafften und so die Aufmerksamkeit darauf lenkten.
Er würde den Wagen nehmen. Damit benötigte er zwanzig Minuten,
Parkplatzsuche inbegriffen. Zwanzig klimatisierte Minuten, die den
Treibhauseffekt anheizten und deshalb noch mehr klimatisierte Autofahrten
notwendig erscheinen lassen würden und damit erneut den Treibhauseffekt …
Dann also doch zu Fuß.
Bis dahin überflog er die Zusammenfassung der bisherigen Hinweise,
die nach der Pressekonferenz von engagierten Bürgern gegeben worden waren. Es
klopfte, aber es war nicht Frau Ivenhoff mit seinem Vater. Einer der Beamten
aus der Einsatzzentrale trat ein und legte ihm ein Papier auf den Tisch.
»Kurze Hintergrundinfos über den Herrn Bram.«
»Danke.«
Bram war dreiundfünfzig Jahre alt. Geboren und aufgewachsen in Wien.
Freund merkte auf, als er las: »Eltern unbekannt«. Bram war im Waisenhaus
Mariabitt aufgewachsen. Jetzt empfand Freund Mitleid. Bram hatte keine
Vorstrafen. Matura, Wirtschaftsstudium. Danach Einstieg in die Tarson
Unternehmensberatung. Übernimmt die Firma später und macht daraus die »Martin
Bram Unlimited«. Ein Geschäftsmann, der sich nicht ins Rampenlicht drängt.
Teilhaber mehrerer Unternehmen, gebündelt in der »Martin Bram Unlimited«.
»Ihr Vater ist ein Wüstling!«
Schnaubend stampfte Viktoria Ivenhoff ins Zimmer.
»Was hat er getan?«
»Gegrapscht!«
»Das tut mir leid. So etwas hat er noch nie getan. Wo ist er?«
»Keine Ahnung! Draußen wahrscheinlich, bei den Toiletten, wo ich ihm
eine runtergehauen habe.«
»Sie haben was?!«
»Ich muss mich doch wehren.«
»Der alte Mann ist völlig harmlos. Wahrscheinlich war sein Verstand
gerade wieder einmal auf Urlaub. Bitte nehmen Sie es ihm nicht übel.«
Freund stürzte auf den Gang. Der großzügige Flur eines alten
Amtsgebäudes, rechts eine lange Fensterflucht, links in großen Abständen die
Bürotüren. Vor einem der hohen halbrunden Fenster stand ein alter Mann, blickte
hinaus und rieb sich die Wange.
»Papa, was hast du angestellt?«
Oswald Freund kicherte. »Ich habe sie in den Hintern gezwickt.«
»Aber das tust du doch sonst nicht?«
»Irgendwann ist für alles das erste Mal«, gluckste er.
Freund nahm ihn bei der Hand. »Wir gehen jetzt zu Frau Ivenhoff, und
du entschuldigst dich.«
»Den Teufel werde ich tun«, erklärte er trotzig, folgte seinem Sohn
aber.
»Bitte, Papa. Morgen darfst du wieder im Garten bleiben. Oder in der
Wohnung, wie du willst. Aber benimm dich heute.«
Er brachte ihn zurück in sein Büro. Viktoria Ivenhoff saß mit
verschränkten Armen und grimmigem Blick hinter ihrem Schreibtisch. Als Oswald
Freund von seinem Sohn näher gedrängt wurde, verdüsterte sich ihr Blick weiter.
Freund stieß seinen Vater in die Rippen.
»Mach schon«, flüsterte er.
»Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte Oswald Freund.
»Es tut dir sehr leid, und du wirst es nie wieder tun«, soufflierte
Freund weiter.
»Es tut mir sehr leid, und ich werde es nie wieder tun.«
Freund erinnerte sich an eine Szene mit seinem Sohn Bernd. Der
Fünfjährige hatte einen Spielgenossen im Kindergarten verprügelt. Danach musste
Freund mit ihm zu den Eltern des Buben. Ähnlich kam er sich jetzt vor. Wir
werden alle nicht jünger. Eigentlich stimmte der Spruch gar nicht. Der
fünfjährige Bernd und der sechsundsiebzigjährige Oswald Freund hatten ziemlich
viel gemeinsam.
Er warf Ivenhoff einen flehenden Blick zu. Gnädig runzelte sie die
Stirn und klimperte mit den Augen.
»Ich glaube, Sie haben gleich Ihren Termin bei diesem Martin Bram«,
sagte sie. »Schauen Sie, dass Sie weiterkommen.«
Sie hatte recht. Es war Zeit für seinen Marsch durch die Wüste. Auf
dem Weg hinaus machte Freund einen Abstecher zur Toilette. Er wusch Gesicht,
Hals, Nacken, Hände und Arme kalt und trocknete sie nicht ab. Vielleicht half
ihm das über die ersten Meter.
Freund versuchte sich im Schatten der Häuser zu halten. Am
Anfang war das nicht einfach. Die Straßen waren breit, und die Sonne schien
schon fast senkrecht. Nachdem er die Ringstraße überquert hatte, wurden die
Gassen schmäler. Er vermied die Touristenströme und damit, in die Sonne
gedrängt zu werden. Trotzdem war er bereits am Salzgries schweißgebadet. Er
wählte den Weg unterhalb des Hohen
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