Menschenteufel
hat er es ausgedrückt. Ich glaube, er meinte
damit bloß, dass der andere nichts Gutes im Schild führen konnte. Meinen die
etwa …«
»War Herr Murnegg-Weiss üblicherweise eher schrullig? Oder war diese
Verfolgungsgeschichte ungewöhnlich für ihn?«
»Völlig ungewöhnlich! Sonst hat er nie solche Geschichten erzählt.
Deshalb bin ich ja auch sofort zur Polizei gegangen.«
Herr Kohn verfolgte das Gespräch schweigend und nippte an seinem
Getränk.
»Sie selbst haben aber niemanden gesehen?«, fragte Wagner. »Keinen
Schwarzen. Keinen schwarz Gekleideten.«
»Keinen Rauchfangkehrer«, erinnerte Oswald Freund sie. »Dreimal über
die Schulter spucken.«
Frau Kohn blickte ihn leicht befremdet an. »Nein. Aber so viel gehe
ich dann auch nicht hinaus. Einmal am Tag einkaufen, dreimal pro Woche zum
Tennis, ab und zu werfe ich einen Blick über das Gartentor, wenn ich im
Vorgarten arbeite, das ist es dann aber auch schon.«
Wahrscheinlich hatte sie auf den vier Quadratmetern vor dem Haus
extra viel zu tun, dachte Freund. Das gab ihr ausreichend Möglichkeiten, öfters
einmal einen Blick hinauszuwerfen. Nachsehen, was sich so tat, auf der Straße,
bei den Nachbarn. Aber immerhin, sie hatte sich schnell bei der Polizei
gemeldet. Und wie es aussah, zu Recht.
»Hat Herr Murnegg-Weiss erwähnt, wie lange er schon verfolgt wird?«
»Ich glaube, er sagte etwas von zwei Tagen. Also, zwei Tage bevor er
verschwand, begann es.«
Wenn es stimmte, was Frau Kohn ihnen erzählte, begann Murnegg-Weiss’
Beschattung einen Tag vor Rothers und Wusters Verschwinden. Wie ernst musste er
die Erzählungen der redefreudigen Nachbarin nehmen?
»Wenn er sich verfolgt fühlte, könnte es auch sein, dass er verreist
ist.«
»Dann hätte er uns doch Bescheid gesagt wegen der Post.«
»Vielleicht hatte er es eilig. Und sie waren gerade beim Tennis.
Oder beim Einkaufen.«
»Das könnte natürlich sein. Schatz, daran haben wir noch gar nicht
gedacht, dass er verreist sein könnte, nicht wahr?«
»Nein, daran haben wir nicht gedacht.« Herr Kohn redete wohl nicht
so gern wie seine Frau. Oder er hatte es über die Jahre mit ihr verlernt.
»Bleiben Sie zum Abendessen, meine Herren? Wir grillen.«
»Ja, gerne!«, rief Oswald Freund. »Grillen!«
Freund erhob sich schnell und lachte ziemlich künstlich. »Der
Kollege scherzt natürlich.«
Statt zu grillen, gingen sie noch einmal zu Murnegg-Weiss’ Haus. Auf
dem Weg ließ Freund die Vorwürfe Wagners beim einen Ohr hinein und beim anderen
hinaus.
»War doch halb so schlimm.«
Sein Telefon meldete sich mit dem Unsquare Dance, auf den er den
Klingelton zurückgestellt hatte. Tognazzi teilte ihm mit, dass Jetmir Bashtrin
heute außer Landes sei, sie aber am nächsten Nachmittag einen Termin bei ihm
hätten. Er setzte seinen Vater in den Wagen, achtete darauf, dass alle Fenster
wenigstens einen Spalt weit geöffnet waren, und sperrte ab. Dann ließ er sich
von Wagner die Räuberleiter machen, um über die schwarze Eisentür zu klettern.
Von innen öffnete er seinem Kollegen. Den sorgfältig geschnittenen Rasen teilte
ein Weg aus Waschbetonplatten. Die untere Hälfte des Hauses war gelb verputzt.
Neben der Tür hing eine gusseiserne Lampe mit Butzenscheiben.
Noch bevor er sie erreicht hatte, entdeckte er das gespaltene Schloss.
Mit einer Handbewegung bedeutete Freund Wagner, stehen zu
bleiben. »Hast du deine Waffe da?«
»Nein, warum?«, flüsterte Wagner zurück.
Freund zeigte auf das zerstörte Schlüsselloch.
»Dann müssen wir eben ohne«, flüsterte er Wagner zu. »Geh du hintenherum.«
Wagner schlich schnell zwischen Hecke und Fassade davon. Freund
stellte das Telefon in seiner Tasche auf lautlos. Dann schob er vorsichtig die
Tür auf. Das kleine Vorzimmer war übersichtlich und leer. Die Tür in den Flur
zum Wohnzimmer stand offen.
Links sah er eine offene Tür, rechts eine geschlossene. Dahinter
erkannte Freund eine Treppe ins Obergeschoss. Mit seinen leichten Sommerschuhen
kam er geräuschlos voran. Die linke Tür führte zur Küche. Die Kästchen waren
geöffnet, Laden herausgerissen, Geschirr und Lebensmittel verstreut. Schnell
öffnete er die Tür rechts. Die Toilette. Ebenfalls leer. Er huschte zum
Wohnzimmereingang. Sein erster Überblick offenbarte Verwüstung. Er eilte zur
Terrassentür und öffnete sie für Wagner, der dort bereits wartete.
»Hier unten ist niemand«, flüsterte Freund ihm zu. »Aber wir müssen
noch in den ersten Stock.«
Gemeinsam stiegen sie
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