Menschliche Einzelteile (German Edition)
die
Parallelstraßen entlang. Vielleicht ging sie auch in den
örtlichen Kneipen auf Pimmeljagd. Oder sie schrubbte sich den
Biber vor der Webcam. Verdammt, dabei hatte er das Ding noch selbst
angeschafft. Videochat war schon eine geile Sache –
vorausgesetzt, man hatte genug Babyöl und eine Rolle Klopapier
in Reichweite.
Tja,
heute würde der Zorn Gottes nicht über die Sünderin
kommen, denn der Liebe Gott musste aufpassen, damit niemand aus
dieser Villa türmte.
Und
wenn er ehrlich war: Die Ninjas boten in der Villa ein ganz hübsches
Feuerwerk. Immer wieder blitzte es hinter den Fenstern auf –
und immer wieder explodierten Blendgranaten. Das hatte schon etwas …
etwas Großes an sich. Wie der Donner einer entfernten
Schlacht. Wie damals, 1945. Ja, in dieser Zeit wäre er gut
aufgehoben gewesen. Hier hätte man seine wahren Werte erkannt.
Seine
Göttlichkeit.
Oha.
Hoppla. Da war es glatt schon wieder mit ihm durchgegangen. Hatte er
nicht irgendwo seine Notfallmedikation? Nein. Verdammt. Er hatte das
Zeug ganz bewusst in der Polizeikaserne zurückgelassen, um den
Abend in vollen Zügen genießen zu können. Wie hätte
er auch ahnen können, dass plötzlich die Geschichte mit
seiner Frau durch die geistige Hintertür geschlichen kam?
War
er überhaupt verheiratet? Er meinte, sich an eine Frau zu
erinnern. Oder doch nicht?
Das
Funkgerät knisterte.
„ Hier
Kardinal. Lieber Gott, der du bist im Baum. Geheiligt werde dein
Präzisionsgewehr. Dein Blei komme, wie im Erdgeschoss so auch
im ersten Stock. Ich stecke hier hinten in der Küche fest und
brauche jemanden, der mir eine Bresche nach vorne schlägt. Hier
unten haben sich einige Sekundärziele in das Gefecht
eingeklinkt. Ausschalten!“
Aha,
nun war es endlich so weit. Zuerst schickte man ihn nach hinten, in
die letzte Ecke, doch dann rief man nach ihm, wenn es vorne nicht
weiter ging.
Aber
gut.
Gut.
Das
war nun einmal sein Job. Und den würde er vortrefflich
erledigen – im wahrsten Sinn des Wortes. Dazu packte er sein
Heckler & Koch Polizei-Präzisionsscharfschützengewehr
PSG1A1 und zog die Schulterstütze fest ein. Dann brachte er
sein Auge dicht an das Schmidt & Bender 3-12 x
50-Police-Marksman-II/LP-Zielfernrohr heran und visierte die Villa
an.
Dabei
vergaß er allen Ärger über seinen Rufnamen.
Er
vergaß seine Frau.
Er
vergaß seine Medikamente.
Bewegung
hinter allen Fenstern. Überall in diesem Haus schien etwas zu
passieren. Potentielle Ziele auf allen drei Stockwerken.
Der
Liebe Gott schob den Sicherungsflügel seines PSG1A1 von der
Stellung „S“ auf die Stellung „E“. Zeit,
seinen Zorn auf die Ungläubigen regnen zu lassen. Endlich
konnte er ein wenig aufdrehen.
Mal
sehen … ja, da! Direkt hinter der Eingangstür. Da
bewegte sich ein Sekundärziel. Mann mit Waffe. Ganz eindeutig.
Nun galt es, keine Zeit zu verlieren. Ganz ruhig! Luft anhalten, das
Absehen direkt über das Ziel bewegen. Kein Seitenwind, keine
Hindernisse – und die Erdrotation konnte man auf diese
Entfernung auch vernachlässigen. Dann nur noch den Zeigefinger
abkrümmen … ganz vorsichtig.
Wumm!
Schuss,
Feuer, Rückstoß – Treffer! Da sackte der Sack zu
Boden, als habe jemand einer Marionette die Fäden
durchgeschnitten. Blattschuss, mitten ins Schwarze.
„ Mein
Wille geschehe!“
Und
im Funk ertönte erneut die Stimme des Einsatzleiters: „Hier
Kardinal. Verdammte Scheiße, wir haben Klosterbruder Zwo-Vier
verloren. Den hat gerade irgendjemand abgeknallt. Ich glaube, der
Schuss kam von draußen. Hat es eine Zielperson nach draußen
geschafft?“
Upps.
Da
hatte er wohl einen seiner Kollegen erwischt. Seltsam. Dabei hätte
er schwören können, er habe einen dieser Gangster im
Visier gehabt. Zu dumm aber auch. Aber da konnte man nichts machen.
Irren war menschlich, doch richtige Scheiße konnten eben nur
Götter bauen. So gesehen lief also alles korrekt.
Und
wenn er gerade dabei war, das Haus durch das Zielfernrohr zu
beobachten: Dieser Bursche mit der Strumpfmaske, der ziemlich
ramponiert aussah und einen Blick durch die Tür riskierte –
der gehörte sicher nicht zur Spezialeinheit, oder? Nein, ganz
bestimmt nicht! Also: Nicht lange fackeln, sondern Feuer an den Mann
bringen. Das Ziel anvisieren, Druckpunkt am Abzug nehmen, Luft
anhalten. Dann ausatmen und dabei den Abzug durchziehen. Sich vom
Schuss überraschen lassen …
Wumm!
Ach,
verdammt! Diese blöde Knarre ging immer früher los, als er
es geplant hatte. Und nun war der Typ da
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