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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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«Sei spontan!»

    b) Was immer der Patient in dieser Situation tut, bringt ihm eine paradoxe Reaktion des Analytikers ein. Wenn er sich z. B. darüber beklagt, dass sich sein Zustand noch nicht gebessert hat, schreibt der Analytiker das seinem Widerstand zu, deutet es aber als wünschenswert, da der Patient dadurch bessere Einsicht in sein Problem erhält. Wenn der Patient sagt, er fühle sich besser, deutet der Analytiker dies als Widerstand und einen Versuch, der Behandlung durch Flucht in die Besserung zu entgehen, bevor sein «wirkliches» Problem analysiert werden konnte.
    c) Der Patient ist in einer Situation, in der er sich nicht wie ein Erwachsener benehmen kann; wenn er sich aber nicht wie ein Erwachsener benimmt, deutet der Analytiker dies als infantil und daher unangebracht.
    d) Eine weitere Paradoxie liegt in der schwer zu entscheidenden Frage, ob die analytische Beziehung eine freiwillige oder unfreiwillige ist. Einerseits betont der Analytiker die freiwillige und daher symmetrische Natur der Beziehung. Wenn der Patient sich aber verspätet oder eine Sitzung versäumt oder irgendeine andere der Behandlungsregeln bricht, wird es offensichtlich, dass die Beziehung eine unfreiwillige, komplementäre ist, in der der Analytiker die superiore Position einnimmt.
    e) Diese Position des Analytikers wird dann besonders augenfällig, wenn der Begriff des Unbewussten ins Spiel kommt. Wenn der Patient eine Deutung des Analytikers ablehnt, kann dieser immer erwidern, dass seine Deutung sich auf etwas bezieht, dessen der Patient nicht gewahr sein kann, weil es ihm unbewusst ist. Versucht der Patient dagegen, Unbewusstheit als Begründung für etwas anzuführen, so kann der Analytiker dies gegebenenfalls mit dem Hinweis ablehnen, dass der Patient nicht davon sprechen könnte, wenn es unbewusst wäre.7

    Aus dem oben Gesagten erhellt, dass ungeachtet dessen, was
der Analytiker außerdem unternimmt, um Änderungen in seinem
Patienten zu erzielen, die analytische Situation selbst praktisch
eine einzige komplexe Doppelbindung ist. Dies gilt natürlich
weitgehend auch für andere Formen der Psychotherapie.
    Beispiel 3: Es ist Aufgabe des Arztes zu heilen. In zwischenpersönlicher Sicht versetzt ihn diese Aufgabe in eine sehr merkwürdige Lage. Solange seine Behandlung erfolgreich ist, nimmt er
die superiore Stellung in der komplementären Beziehung zu seinem Patienten ein. Wenn seine Bemühungen aber scheitern, verkehrt sich die Lage; die Natur der Beziehung zum Patienten ist
dann durch die Nichtbeeinflussbarkeit der Krankheit bestimmt,
und der Arzt findet sich in der Inferiorposition. Damit kann er,
wenigstens potenziell, von jenen Patienten in eine Doppelbindung hineingezogen werden, die entweder (aus welchen Gründen
auch immer) eine Besserung nicht ertragen können oder für die es
wichtiger ist, jede Beziehung (und daher auch die zum Arzt) zu
beherrschen, ohne Rücksicht darauf, wie viel Schmerz und
Schwierigkeiten ihnen das bereiten mag. Im einen wie im andern
Fall scheinen sie mittels ihrer Symptome zu signalisieren: «Hilf
mir, aber ich werde es nicht zulassen.»
    Eine solche Patientin, eine Frau in mittleren Jahren, wurde
wegen anhaltender starker Kopfschmerzen in psychiatrische
Behandlung überwiesen. Die Schmerzen hatten kurz nach einem
Unfall begonnen, bei dem sie am Hinterkopf verletzt worden
war; die Verletzung war aber ohne Komplikationen abgeheilt,
und weitere Untersuchungen hatten keinerlei Anhaltspunkt für
ihre Kopfschmerzen ergeben. Die Patientin war von ihrer Versicherungsgesellschaft angemessen entschädigt worden und erwartete keine weiteren Versicherungsleistungen oder gerichtliche
Entscheidungen. Vor ihrer Überweisung an den Psychiater war
sie von mehreren Spezialisten in einer großen Klinik untersucht
und behandelt worden. Dadurch hatte sich eine Krankengeschichte von eindrucksvollem Volumen angesammelt, und die Patientin war zu einer Quelle beträchtlicher beruflicher Frustrationen dieser Ärzte geworden.

    Das Studium ihres Falles überzeugte den Psychiater, dass in
Anbetracht dieser Vorgeschichte ärztlicher «Fehlschläge» jeder
Hinweis auf die mögliche Wirksamkeit von Psychotherapie diese
von vornherein zum Scheitern verurteilen würde. Er unterrichtete die Patientin also, dass aufgrund der Ergebnisse aller früheren Untersuchungen und in Anbetracht der Tatsache, dass keine
Behandlung ihr auch nur im Geringsten geholfen habe, kein
Zweifel bestehen könne, dass

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