Menschliche Kommunikation
ihr Zustand irreversibel sei. Im
Hinblick auf diese bedauerliche Tatsache könne er ihr nur helfen,
mit ihren Kopfschmerzen leben zu lernen. Die Patientin schien
über diese Erklärung mehr verärgert als bestürzt und fragte ziemlich spitzig, ob dies alles sei, was die Psychiatrie ihr zu bieten
habe. Der Psychiater konterte dies, indem er ihr ihre gewichtige
Krankengeschichte vorhielt und wiederholte, dass in Anbetracht
dieser Untersuchungsergebnisse ganz einfach keine Aussicht auf
Besserung bestünde und sie sich damit abfinden müsse. Als die
Patientin eine Woche später zu ihrer zweiten Sitzung kam,
erwähnte sie sofort, in den letzten Tagen viel weniger unter ihren
Kopfschmerzen gelitten zu haben. Der Psychiater reagierte auf
diese Mitteilung mit Besorgnis und bedauerte, es verabsäumt zu
haben, sie vor der Möglichkeit eines solchen vorübergehenden,
rein subjektiven Nachlassens ihrer Schmerzen gewarnt zu haben.
Sobald die Schmerzen nun unvermeidlich in ihrer alten Stärke
zurückkehren würden, werde die Patientin sich noch schlechter
fühlen, da sie eine falsche Hoffnung auf eine rein zufällige und
vorübergehende Besserung gesetzt hätte. Er zog wiederum ihre
Krankengeschichte hervor, deutete auf den tiesigen Umfang und
wiederholte, dass sie umso schneller mit ihren Schmerzen zu
leben lerne, je schneller sie jede Hoffnung auf Besserung aufgebe.
Von dieser Sitzung an nahm die Behandlung einen etwas stürmischen Verlauf; der Psychiater zeigte sich immer skeptischer, da
die Patientin die «Irreversibilität» ihres Zustands nicht einsehen
wollte, und die Patientin berichtete ärgerlich und sarkastisch über zunehmende Besserung. Große Teile der Behandlungszeit zwischen diesen «Runden» konnten aber für die Exploration der
zwischenmenschlichen Beziehungen dieser Frau verwendet werden, und schließlich gab sie, weitgehend gebessert, auf eigene Initiative hin die Behandlung auf, da sie offenbar eingesehen hatte,
dass ihr «Spiel» mit dem Psychiater endlos weitergehen könnte.
Beispiel 4: Fälle von psychogenem Schmerz wie der eben
erwähnte eignen sich im Allgemeinen besonders gut für auf paradoxen Kommunikationen beruhende Kurztherapien. Die Herstellung einer Doppelbindung kann meist schon beim allerersten
Kontakt mit dem Patienten eingeleitet werden, oft schon telefonisch, wenn ein neuer Patient um eine Konsultation ersucht. Wenn
der Therapeut hinlängliche Information über die Psychogenese
des Zustandes hat (wie das z. B. nach vorhergehender Besprechung
mit dem überweisenden Arzt möglich ist), kann er den Patienten
davor warnen, dass sich sehr häufig vor der ersten Sitzung eine
wesentliche Besserung einstelle, dass diese aber rein vorübergehender Natur sei und der Patient keinerlei Hoffnung auf sie setzen
dürfe. Falls der Patient dann vor seiner ersten Sitzung keine Besserung spürt, ist kein Schaden verursacht, und der Patient wird die
Besorgnis und Vorsorge des Therapeuten schätzen. Wenn er sich
aber besser fühlt, so kann die Ausarbeitung der Doppelbindung
fortgesetzt werden. Der nächste Schritt besteht dann z. B. im Hinweis darauf, dass die Psychotherapie den Schmerz nicht beheben,
dass der Patient aber meist unschwer lernen kann, den Schmerz
«zeitlich zu verschieben» und seine Stärke zu «komprimieren». Er
muss dann eine Stunde an geben, in der es für ihn am wenigsten
lästig wäre, mehr Schmerz zu empfinden (z. B. jeden Abend von
zehn bis elf Uhr). Es wird ihm zur Aufgabe gemacht, während
dieser Zeit seinen Schmerz zu verstärken, womit stillschweigend
unterstellt wird, dass er außerhalb dieser Zeit weniger Schmerzen
haben wird. Die erstaunliche Tatsache ist, dass es die Patienten fast
ausnahmslos fertigbringen, zu der von ihnen gewählten Zeit entweder wirklich mehr Schmerzen zu empfinden oder an ihrer Aufgabe nicht nur zu scheitern, sondern während der gewählten Zeit sogar viel weniger Schmerzen zu haben. Im einen wie im anderen
Fall vermittelt ihnen also die Erfahrung, dass sie irgendwie Einfluss auf ihre Schmerzen haben. Wichtig ist dabei, dass der Therapeut sich hütet, von Besserung zu sprechen; er behält vielmehr
dieselbe skeptische Haltung bei, die in Beispiel 3 erwähnt wurde.
Zahlreiche weitere Beispiele für die Anwendung dieser paradoxen
Technik finden sich bei Haley [56, S. 41 ff.].
Beispiel 5: Eine junge Studentin war in Gefahr, durchzufallen,
da es ihr unmöglich war, morgens früh genug für den Besuch der
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