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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Watzlawick
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ist außer sich. Martha lacht auch ... sie bricht fast zusammen vor
Lachen. George nimmt an dem allgemeinen Gelächter und Durcheinander teil, das sich nach und nach wieder legt.)

    Putzi: Ach, du lieber Himmel!
    Martha (fröhlich): Wo hast du das her, du Strolch?!
    (...)
    George (ein wenig zerstreut): Ich hab's schon eine ganze Weile. Hat's dir
Spaß gemacht?
    Martha (kichert): Du Strolch! [S. 38f.]
    Marthas Fröhlichkeit und Kichern mag zum Teil ihrer Erleichterung nach dem ausgestandenen Schreck zuzuschreiben sein, aber
es liegt darin auch das fast sinnliche Vergnügen an einer gut
gespielten Partie, ein Vergnügen, das beide teilen:
    George (beugt sich zu Martha hinunter): Das hat dir Spaß gemacht, hm?
    Martha: Ähem, das war lustig. (Sanft): Gib mir einen Kuss. [S. 39]
    Diese Harmonie kann jedoch nicht lange dauern, denn so wie
ihre Rivalität sexuelle Aspekte hat, ist ihr sexuelles Verhalten
weitgehend Rivalität, und als Martha sich George nun direkt
nähern will, erhebt dieser Einwände; sie wiederum will nicht
locker lassen, und George gewinnt schließlich einen Pyrrhussieg
[S. 39], indem er sie abweist und an die Adresse seiner Gäste die
Unschicklichkeit ihres Verhaltens kommentiert.
    Der von beiden verwandte Stil stellt also eine weitere Einschränkung dar, eine zusätzliche Redundanz in ihrem Spiel. Im
Hasardspiel der von ihnen eingegangenen Risiken scheinen sie
sich zwar gegenseitig zu bestätigen, doch sind die Fronten zwischen ihnen so erstarrt, dass diese Ich- und Du-Bestätigungen
nur vorübergehend sind und sich auf ihnen nichts Neues aufbauen kann.
    5.42 Der Sohn. Der imaginäre Sohn ist ein Thema, das besondere
Beachtung erfordert. Viele Rezensenten, die sonst sehr positiv
über das Stück im Allgemeinen urteilen, lehnen diesen Aspekt ab.
Malcolm Muggeridge bemerkt: «Das Stück fällt im dritten Akt
auseinander, als die bedauerliche Geschichte mit dem imaginären Kind entwickelt wird» [105, S. 58], und Howard Taubman
protestiert:

    Herr Albee will uns weismachen, dass sein älteres Ehepaar 21 Jahre lang
die Vorstellung nährte, dass sie einen Sohn haben, dass seine imaginäre
Existenz ein Geheimnis ist, das sie zutiefst bindet und trennt, und dass die
Tatsache, dass George ihn für tot erklärt, ein Wendepunkt sein könnte.
Dieser Teil der Geschichte klingt unwahr, und seine Unglaubwürdigkeit
beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit der beiden Hauptpersonen [147].
    Diese Ansicht steht vor allem in Widerspruch zur klinischen
Erfahrung. Die Glaubwürdigkeit einer Vorstellung hat weder
etwas mit dem für sie nötigen Grad der Wirklichkeitsverfälschung
zu tun noch damit, dass sie von beiden Partnern geteilt werden
muss. Seit der klassischen Folie ä deux sind viele kollektive Wirklichkeitsverzerrungen beschrieben worden. Laing und Esterson
[88, S. 120] z. B. referieren über eine Familie, die «Edens», deren
Umbenennung aller Familienbeziehungen zu einem ungewöhnlichen Grad zwischenmenschlicher Unwirklichkeit geführt hatte.
Mit Ausnahme der siebzehnjährigen Tochter fanden sich aber alle
Familienmitglieder in diesem völlig unwirklichen Beziehungssystem, das anscheinend hauptsächlich der Tochter wegen ins
Leben gerufen worden war, gut zurecht. Die nachfolgende Liste
stellt den Schlüssel für die Umbenennungen dar:

    Wie gesagt, war das einzige Familienmitglied, das sich in diesem
Chaos von Identitäten und Beziehungen nicht zurechtfand, die
Tochter, die schließlich mit einer akuten Katatonie in eine Heilanstalt eingewiesen werden musste ...

    Ferreira nennt diese Wirklichkeitsentstellungen «Familienmythen» und meint damit
    eine Reihe von ziemlich eng zusammenhängenden Meinungen aller
Familienmitglieder sowohl über einander als auch über die Stellung jedes
Einzelnen innerhalb der Familie - Meinungen, die trotz ihrer offensichtlichen Wirklichkeitsferne von niemandem in Zweifel gezogen werden
[40, S. 457].
    Wichtig an dieser Formulierung ist erstens, dass der Mythus nicht
blind geglaubt zu werden braucht, und zweitens, dass die Täuschung sozusagen im gegenseitigen Weismachen liegt und nicht
in den Individuen selbst. Was den ersten Punkt betrifft, bemerkt
Ferreira: «Das individuelle Familienmitglied kann sogar wissen,
dass das Bild weitgehend falsch ist und nicht mehr als eine Art
offizieller Parteilinie darstellt» [40, S. 458]. Auch Albee behauptet nirgends, dass George und Martha «wirklich» einen Sohn zu
haben glauben. Wenn sie darüber

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