Mephisto
ausbeuterischer«, fügte er freundlich hinzu. Hendrik – das Gesicht über dem rosa Hemd gerötet vom lebhaften Gespräch und vom Wein – stammelte etwas davon, daß es auch großbürgerlich-überbürgerliche Typen gebe, für die der kommunistisch gesinnte Mensch durchaus Wertschätzung habe; daß das große Erbe der bürgerlichen Revolutionen und des Liberalismus im bolschewistischen Pathos lebendig bleibe, und dergleichen versöhnliche Beteuerungen mehr.
Diesem Wortschwall winkte der Geheimrat lächelnd ab. Aber dann erzählte er – als wäre ihm doch daran gelegen, Höfgen von seiner politischen Vorurteilslosigkeit zu überzeugen – auf seine bedächtig wägende, zugleich schnörkelhaft umständliche und eindringlich anschauliche Art von den bedeutenden Eindrücken, die seine Reise durch die Sowjet-Union ihm gebracht hatte. »Jeder objektiv Beobachtende muß es feststellen, und wir alle sollten uns an den Gedanken gewöhnen, daß dort drüben eine neue Form des menschlichen Zusammenlebens im Entstehen ist«, sagte er langsam und schaute mit seinem blauen Blick in die Ferne, als sähe er dort die großen und erschütternden Dinge, die in jenem Land Ereignis wurden. Mit Strenge sagte er noch: »Diesen Tatbestand bestreiten nur noch Narren oder Lügner.« Dann plötzlich änderte er den Ton; bat, man möge ihm die Schüssel mit den Himbeeren reichen, und noch während er sich bediente, sagte er, das beinah schelmisch lächelnde Gesicht ein wenig schief gehalten – wie er es zuweilen tat: »Mißverstehen Sie mich nicht, lieber Herr Höfgen: Natürlich ist diese Welt mir fremd – nur gar zu fremd, wie ich fürchte. Aber muß das bedeuten, daß ich ohne Gefühl bin für ihre zukunftsträchtige Größe?« Während er dies aussprach, nickte er Barbara zu, die ihm die Sahne gereicht hatte. Hendrik war froh, sich seinerseits wieder hören lassen zu dürfen. Für die Einzelheiten aus dem Leben in Sowjet-Rußland schien er sich nicht sonderlich zu interessieren; hingegen begann er mit Temperament vom Revolutionären Theater zu reden und von den Verfolgungen, denen er in Hamburg seitens der Reaktion ausgesetzt war. Er wurde sehr heftig; bezeichnete die Faschisten abwechselnd als ›Tiere‹, ›Teufel‹ und ›Idioten‹ und erging sich in den zornigsten Redensarten über jene Intellektuellen, die aus gemeinem Opportunismus mit dem militanten Nationalismus sympathisierten. »Die sollten alle aufgehängt werden!« rief Hendrik, wobei er sogar auf den Tisch schlug. Der Geheimrat sagte, gleichsam beschwichtigend: »Ja, ja – auch ich habe Unannehmlichkeiten gehabt.« Mit dieser Bemerkung spielte er auf die berühmten und skandalösen Ereignisse an: auf die Lärmszenen, die ihm nationalistische Studenten bereitet hatten, und auf die ordinären Angriffe, deren Gegenstand er in der reaktionären Presse gewesen war.
Nach der Mahlzeit bat der alte Herr den Schauspieler Höfgen darum, eine Probe seiner Kunst vorzuführen. Hendrik, der darauf keineswegs gefaßt gewesen war, wehrte sich lange. Der Geheimrat aber ließ sich gar zu gerne ein wenig unterhalten und amüsieren: wenn sein Kind sich schon einen Komödianten, der ein rosa Hemd und ein Monokel trug, zum Gatten nahm, dann wollte er, der Vater, wenigstens eine drollige Darbietung davon profitieren. Hendrik mußte auf der Diele Rilke-Verse deklamieren; selbst die alte Haushälterin und der große Hund kamen herbei, um zu lauschen. Zu dem kleinen Auditorium gesellte sich noch Nicoletta, die an der Mahlzeit nicht teilgenommen hatte und vom Geheimrat mit halb-ironischer Feierlichkeit begrüßt wurde. Hendrik gab sich außerordentliche Mühe, arbeitete mit den raffiniertesten Mitteln, machte seine Sache sehr gut und erntete reichlichen Beifall. Als er mit einem Bruchstück aus dem ›Cornet‹ geendigt hatte, schüttelte der Geheimrat ihm nicht ohne Bewegtheit die Hand und Nicoletta, ihrerseits musterhaft artikulierend, lobte seine »blendende Aussprache«. –
Am nächsten Tage mußten die beiden Damen Höfgen, Mutter und Tochter, in Empfang genommen werden. Hendrik sagte zu Barbara, mit der er auf dem Bahnsteig wartete: »Du wirst sehen: Josy fällt mir um den Hals und erzählt, daß sie sich wieder verlobt hat. Es ist schauerlich – sie verlobt sich mindestens jedes halbe Jahr einmal, und mit was für Burschen! Wir sind jedes Mal froh, wenn die Verbindungen auseinandergehen. Das vorige Mal hätte es meinem armen Vater fast das Leben gekostet. Der Bräutigam war ein
Weitere Kostenlose Bücher