Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
nachdem sie sich hinter ihren mit Skripten, Büchern und Memos überfüllten Schreibtisch gesetzt und Lea und Sören die beiden bequemen Sessel davor angeboten hatte. »Er sagte, sie haben eine Gruppe in Verdacht, unter dem Deckmantel von esoterischen und therapeutischen Angeboten Menschen zu manipulieren, vielleicht sogar zu hypnotisieren. Habe ich das richtig verstanden?« Sie schaute Lea an.
Lea zuckte, als Frau von Helmstetten den Sachverhalt so klar zusammenfasste.
»Nun ja, das ist eine Vermutung; Verdacht ist vielleicht zu viel gesagt; über andere Personen, die in diesem Institut Kurse besuchen, haben wir uns ehrlich gesagt noch keine Gedanken gemacht.«
»Ich verstehe. Sie befürchten also, man habe Sie in Hypnose versetzt, um etwas zu verbergen, und Sie zudem mit einer posthypnotischen Amnesie ausgestattet.«
»Hm«, Lea räusperte sich, »wenn man es so hört, könnte man denken, es handle sich um eine paranoide Wahnvorstellung im Rahmen einer akuten Schizophrenie …«
Ihre Zweifel an dieser Aktion wuchsen von Minute zu Minute. Aber Frau Professor von Helmstetten lächelte Lea aufmunternd zu.
»Wenn dem so wäre, würden Sie nicht hier sitzen und hätten auch nicht den Wunsch, herauszubekommen, was wirklich mit Ihnen geschehen ist.«
Sie nahm die Untersuchungsunterlagen, die Sören mitgebracht hatte, aus dem Umschlag und überflog die Ergebnisse der Computertomographie des Schädels, das EEG, die Röntgenaufnahmen von Kopf, Wirbelsäule und knöchernem Thorax. Bis auf eine fragliche Fraktur der siebten Rippe, die aber keiner weiteren Behandlung bedurfte, waren die Ergebnisse der Untersuchungen sämtlich im Normbereich.
»Die Laborergebnisse, einschließlich Drogenscreening, bekommen wir, sobald diese komplett vorliegen, vielleicht schon am frühen Nachmittag«, bemerkte Sören ergänzend, als er sah, dass die Kollegin mit der Durchsicht der Befunde fertig war.
Es klopfte, und auf ein »Herein« von Frau von Helmstetten zeigte sich der Kopf von Kommissar Bender in der Tür. Lea erinnerte die Situation an die Verfilmung eines Kriminalromans mit einem italienischen Kommissar. Allerdings wirkte Franz Bender nicht gerade südländisch. Die auf der Kopfmitte bereits etwas schütteren Haare waren von einem undefinierbaren Mittelblondgrau, er betrachtete seine Umgebung aus graugrünen Augen, die Kleidung setzte sich aus Graubraun- und Blaugrautönen zusammen. Lauter Mischfarben, stellte Lea fest.
Hinter ihm schob sich Sandra Kurz durch die Tür, an deren Ohren diesmal kein Obst, sondern ein Sortiment bunter Perlen baumelte. Offensichtlich hatte es zu regnen begonnen, denn ihre Jacken wiesen deutliche Nässespuren auf. Nach einiger Zeit gaben die Kleidungsstücke in dem warmen Zimmer ihre Feuchtigkeit ab, so dass die Fenster beschlugen. Aber die Sicht nach draußen war an diesem Dezembervormittag ohnehin nicht sonderlich aufmunternd.
Sie sah sich in ihrem Zimmer um. Susanna war pünk t lich am Montagmorgen um 10 Uhr erschienen, der weiterführende Kurs sollte um 14 Uhr beginnen.
Sie war sehr zufrieden mit ihrer letzten Ausstellung. Die scharfzüngigen Kritiker der Kunstszene hatten sie verschont, und die Artikel über ihr Arrangement in der Pinako t hek der Moderne in München mit Werken von Gerhard Richter und Paula Rego hatten die Zustimmung des Fachpublikums gefunden.
Obwohl sie lieber mit impressionistischen Werken oder Bildern aus der Renaissance arbeitete, hatten die Bilder von Richter sie angesprochen. Insbesondere »S. mit Kind«, entstanden auf der Grundlage einer Fotografie, welche die Ehefrau des Malers mit dem kleinen Sohn zeigte, hatte sie tief bewegt. Das Bild strahlte ein unmittelbares, nicht weiter definierbares Gefühl aus. Sie hatte vor dem Bild gestanden und gewusst, dass sie genau das immer gesucht hatte und weiterhin auf der Suche danach sein würde.
Wir möchten uns als eigenständig erleben und ertragen die Trennung nicht, wir erleben die Harmonie und vermissen die Individualität, hatte sie über diese Ambivalenzen nachgedacht.
Ihre Erinnerung an die erste Sitzung mit Marcion war noch frisch: »Die Trennung ist eine Illusion, eine verfälschte Wahrnehmung, die wir erlernt haben. Tatsächlich ist alles eins, es gibt kein Gut und Böse, es gehört alles zusammen und begegnet dir auf dem Weg zu dir selbst.«
Wie gut diese Sätze geklungen hatten! Keine Schuld, ein innerliches Aufatmen. Die Sinnlosigkeit der Selbs t bestrafung, die Hoffnung auf Versöhnung.
Sie hatte das
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