Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
hielten sich, nachdem sie ordnungsgemäß das Parkticket hinter der Windschutzscheibe platziert hatten, Richtung Neurologisches Zentrum. An einem älteren Gebäude bemerkte Lea auf einem Aushang, der eine Fortbildungsreihe ankündigte, das Zitat Quidquid discis, tibis discis .
»Na«, fragte Lea, die sich ablenken wollte, mit Blick darauf, »hilft dir dein Schullatein?«
»Ja, also, wir hatten einen sehr guten Lateinlehrer.« Sören betrachtete skeptisch den lateinischen Satz.
Lea wartete. »Das sagst du nur, um Zeit zu sparen.«
»Nein, wirklich.« Sören machte ein ernstes Gesicht. »Und außerdem war ich außergewöhnlich gut in Latein.«
»Dann mal los, so schwer ist es nicht«, forderte Lea ihn auf.
»Da steht: Alles was du lernst, lernst du für dich.«
»Ah, sehr gut!« Lea war überrascht. Sören hatte bislang immer darauf hingewiesen, dass seine Lateinkenntnisse verschüttet waren, insbesondere bei Anfragen von Übersetzungshilfen im Rahmen der Hausaufgaben. »Wirklich gut, ich bin beeindruckt. Wenn es in Zukunft mal eng wird, übernimmst du die Lateinhausaufgaben.«
Sören sah sie bestürzt an. »Das geht auf gar keinen Fall! Ich beichte lieber. Erinnerst du dich an die Veranstaltung zum Thema ›Aortenerkrankungen und chirurgische Strategie‹ hier in Heidelberg?«
»Ich glaube schon, ja?«
»Der Heidelberger Kollege erwähnte diesen Spruch in der Einleitung seines Vortrages …«
»Und natürlich übersetzte er ihn auch«, ergänzte Lea.
Sören nickte, legte ihr den Arm um die Schulter, und gemeinsam gingen sie weiter.
»Der Spruch ist nicht ganz unpassend, findest du nicht?« Sören erinnerte Lea wieder an den Grund ihres Ausflugs nach Heidelberg.
»Eine Fortbildung wäre mir um einiges lieber als diese Forschungsreise in mein Innenleben.«
»Ach komm«, versuchte Sören, Lea aufzumuntern, »so viele anstößige Gedanken hast du auch wieder nicht. Schließlich redest du auch gern im Schlaf, und es haben sich bislang keine Hinweise auf seelische Abgründe ergeben.«
»Hoffentlich hast du recht. Meinst du, die Ergebnisse meiner Blutuntersuchung liegen heute schon vor?«, fragte Lea.
»Das kann gut sein. Ich habe einen Eilauftrag daraus gemacht. Die Laborleitung wollte mich über mein Handy informieren, sobald die Ergebnisse da sind.«
Schweigend gingen sie zusammen an der Dermatologie, Chirurgie und an dem Neubau der Kinderklinik vorbei und erreichten schließlich das Haus 112a, in dem die Neurologie und die Neurophysiologie untergebracht waren. Auf einer Tafel im Erdgeschoss fanden sie den Hinweis, dass das Sekretariat von Frau Professor von Helmstetten im zweiten Obergeschoss zu finden war. In dem Gebäude herrschte mäßiger Betrieb. Am Treppenabsatz zwischen dem ersten und dem zweiten Stock wartete eine Frau mit einem Kleinkind an der Hand. Die Frustration einer langen Wartezeit spiegelte sich in ihrem Gesicht, und das Kind quengelte abwechselnd lauter und leiser vor sich hin.
Sie erreichten das Sekretariat, und Sören klopfte an. Eine energische Stimme rief sie herein. Als sie das Zimmer betraten, erblickten sie eine hochgewachsene Frau mit gebräuntem Gesicht und einem straffen Knoten brünetten Haars im Nacken. Die Frau trug eine beigefarbene Hose und einen weißen Pullover und saß auf einem Schreibtischstuhl.
»Hallo, von Helmstetten«, stellte sie sich vor und stand dabei schwungvoll auf. »Sie sind die Kollegin von Ullrich mit dem Hypnoseproblem?«
Etwas überrumpelt ergriff Lea die ihr entgegengestreckte Hand und murmelte eine Begrüßung.
»Meine Sekretärin musste zum Arzt, deshalb spiele ich hier die Empfangsdame.«
»Verstehe, wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich so kurzfristig Zeit genommen haben.«
Sören übernahm die Konversation, und Lea war dankbar, dass man nicht sofort auf den »Fall Lea Johannsen« zu sprechen kam. Als Problemfall wahrgenommen zu werden, verursachte ihr größtes Unbehagen. Die Sicherheit desjenigen, der das Handeln bestimmt, den Verlauf kontrolliert, beurteilt und entscheidet, hatte sie schlagartig eingetauscht gegen die Position des Untersuchungsobjektes, das sein ganzes Vertrauen in die Akteure setzen muss. Lea verspürte ein flaues Gefühl in der Magengegend, doch sie riss sich zusammen und ging hinter Sören und Frau von Helmstetten in das angrenzende Zimmer, welches bis an die Decke mit Büchern vollgestopft war.
»Erstaunliche Geschichte, die Ullrich mir da am Telefon geschildert hat«, ergriff Frau von Helmstetten das Wort,
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