Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
es das Gleichgewicht, schwankt, versucht, sich abzufangen, festzuhalten. Es gelingt ihm nicht. Es stürzt in die Tiefe. Kein Schrei. Es ist still. Sie tritt an den Rand der Klippe und schaut nach unten. Sie sucht zwischen den schaumgekrönten Wellen, die ein beständiger Wind an den Strand drängt, nach dem Mädchen in dem weißen Kleid. Ist es dort weit draußen? Sie ist sich nicht sicher. Sie glaubt, es zu erkennen, bei den Nixen, die im Auf und Ab der Wogen tanzen. Die unsterblichen Nixen haben ihre weißen Arme ausgestreckt, sie halten das Kleid. Nur das weiße Kleid.
Nach diesem Traum hatte sie nicht mehr einschlafen können. Es war bereits 5 Uhr morgens gewesen. Jetzt legte sie ihren Kopf auf das Kopfkissen und ließ die Beine über den Bettrand baumeln. »Seelenreinigung …« Sie sprach das Wort behutsam aus. Wie verheißungsvoll es klang, wie es die Phantasie beflügelte!
Sechzehntes Kapitel
Nachdem sich alle begrüßt hatten, stellte Konstanze von Helmstetten die Möglichkeiten vor, die sie hatten, um Auskunft über eine eventuell abgelaufene Hypnosesitzung zu erhalten.
»Wir können mit einer leichten Trance beginnen. Der Körper ist dabei vollkommen entspannt. Sie werden merken, dass Ihnen die Augen zufallen und Sie Arme und Beine kaum noch bewegen können. Unter Hypnose ist die Einflussnahme des Bewusstseins herabgesetzt, das Unbewusste ist unmittelbarer zu erreichen. Ich werde Sie in diesem Trancezustand befragen, ob Sie sich an irgendwelche Suggestionen erinnern können. Dann werden wir weitersehen.«
»Das hört sich sozialverträglich an«, bemerkte Sören, dem die ganze Operation weiterhin nicht geheuer war.
»Und das war dann schon alles? Wir wissen dann, ob ich hypnotisiert wurde und dabei irgendeinen Befehl erhalten habe oder nicht?«, fragte Lea hoffnungsvoll.
»Also, prinzipiell ist es möglich, dass Sie sich schon unter leichter Trance erinnern, aber ich bin skeptisch.« Frau von Helmstetten stand auf. »Wenn wir bei dieser ganzen Geschichte davon ausgehen, dass Sie etwas entdeckt haben, was Sie möglichst vergessen sollen, und dies Ihrem Willen im Wachbewusstsein nicht entspricht, wird eine leichte Trance nicht ausreichen.«
Jetzt schaltete sich Kommissar Bender ein: »Das bedeutet, dass ich nicht jeden Befehl unter Hypnose anordnen kann? Ist das richtig?«
Die Professorin wandte sich Bender zu: »Ganz genau. Auf der ersten Entspannungsstufe, der leichten Trance, hat die Person selbst noch eine gewisse Kontrolle über ihre Gedanken. Sie entscheidet also auch, was richtig oder falsch, gut oder schlecht ist.«
Der Kommissar blätterte die erste beschriebene Seite seines Notizblocks um, während Konstanze von Helmstetten fortfuhr: »Zudem kann man sich nach einer leichten Trance an alle Suggestionen erinnern, und – das ist vielleicht das Wichtigste – man kann diesen Zustand selbst abbrechen.«
»Dann ist das bei mir wahrscheinlich doch anders gelaufen.« Lea hatte konzentriert zugehört.
»Das würde ich ebenfalls annehmen«, bestätigte Frau von Helmstetten, »die Gedächtnislücke kann direkt mit Ihrem Sturz zusammenhängen oder aber Folge einer posttraumatischen Belastungssituation sein.« Das klang für Lea einleuchtend, nur allzu gut konnte sie sich an die Dunkelheit und Kälte im Wald erinnern. »Sie sind verletzt mitten in der Nacht im Wald aufgewacht und haben zuvor möglicherweise etwas gesehen oder mitbekommen, das Sie emotional in Aufruhr versetzt hat. Ihr Gedächtnis schützt Sie nun sozusagen durch seine Blockade genau vor dieser Information.«
Im Zimmer machte sich betretenes Schweigen breit. Lea hielt es nicht lange aus: »Es könnte jede einzelne Erklärung zutreffen. Aber letztlich bleiben es Spekulationen und Hypothesen. Wir sind eigentlich hier, um herauszubekommen, was wirklich passiert ist.« Sie versuchte, entschlossen in die Runde zu blicken.
Frau von Helmstetten nickte. »Also gut, dann beginnen wir. Ich versetze Sie in eine oberflächliche Trance und befrage Sie. Ob dabei irgendwelche Erinnerungen zum Vorschein kommen, werden wir sehen. Das Ganze werden wir auf Video aufnehmen, sicherheitshalber. Außerdem können Sie sich die Aufnahme hinterher anschauen und haben ein besseres Gefühl bei der ganzen Aktion.«
Besseres Gefühl, dachte Lea, die an ihre letzte Wurzelbehandlung denken musste. Da wurde auch mit feinen Drähtchen am Nerv gearbeitet unter schwierigsten anatomischen Verhältnissen. Nur das Vertrauen in die Geschicklichkeit des Zahnarztes
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