Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
sie diese kleine Unhöflichkeit bemerkt, schob sie umgehend ein freundliches »ich hoffe, es geht Ihnen gut« hinterher. Nachdem Lea ein rasches »ja, danke« gemurmelt hatte, sprach Sandra Kurz weiter. »Es gab kurz vor Susanna van der Neers Tod noch einen anderen Selbstmord. Bei der Person handelt es sich um eine gewisse Madeleine Desault aus Charleroi in Belgien.«
»Madeleine, eine Belgierin! Dann gab es also noch eine andere Madeleine außer dieser – wie hieß sie? – Madeleine Siegsdorf!«
»Madeleine Siegburger«, korrigierte Kurz. »Ja, das denken wir auch. Diese Madeleine Desault ist drei Tage vor dem Selbstmord von Frau van der Neer von einer Brücke gesprungen, bei Cerfontaine. Sie sprang von einer Brücke in einen der Lacs de l’Eau d’Heure, einen See, ungefähr 36 km von ihrem Heimatort entfernt. Sie muss sofort tot gewesen sein.«
»Ist es sicher, dass sie hinuntersprang? Kein Unfall?«.
»Einen Unfall kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen, die Brücke ist mit einem fast 1 Meter 80 hohen Geländer extrem gut abgesichert. Es kostet einige Mühe, dort hinüberzuklettern. Nein, es sieht in diesem Fall eindeutig nach Selbsttötung aus. Madeleine Desault ist mit ihrem Auto in die Nähe dieser Brücke gefahren, hat es etwa 50 Meter davor am Straßenrand abgestellt, ohne es abzuschließen, und ist zum Beginn der Brücke gelaufen. Dort muss sie über das Geländer geklettert sein, nachdem sie ihre Handtasche auf dem Seitenstreifen abgestellt hatte. Die war auch der Grund, warum man sie entdeckt hat. Einem Autofahrer ist die Tasche, die ordentlich auf der Straße abgestellt war, aufgefallen, und er hat sofort die Polizei verständigt. Man fand die junge Frau auf dem steinigen Ufer. Die Todesursache ist laut Gerichtsmedizin ein Bruch des vierten Halswirbels.«
»Wie schrecklich!«, entfuhr es Lea.
»›Schrecklich‹ trifft es, wobei Bender und mir etwas Absonderliches aufgefallen ist, als wir uns die Fotos der Toten angesehen haben. Ihr Gesicht hat einen zufriedenen, fast glücklichen Ausdruck.«
»Glücklich?«
»Genau, sie sieht irgendwie glücklich aus. Das bildet einen merkwürdigen Kontrast zu ihrem gebrochenen Genick. Und es gibt weitere Ungereimtheiten. Die Wohnung von Frau Desault muss auf die Ermittlungsbeamten ebenso absonderlich gewirkt haben, wie es uns mit der Wohnung von Frau van der Neer ging und auch unseren Kollegen in England. Davon hat Herr Bender Ihnen berichtet?«
»Ja, er hat es mir erzählt. Merkwürdig: Bei so vielen Ähnlichkeiten muss es diese Madeleine gewesen sein, von der Susanna van der Neer gesprochen hat. Wie sehen Sie das?«
»Das glauben wir auch. Es erklärt jedenfalls, warum Madeleine Siegburger aus Ingolstadt keine brauchbaren Informationen über Frau van der Neer hatte. Die Kollegen aus Belgien haben uns einen Teil ihrer Ermittlungen per E-Mail geschickt. Das wird noch interessanter.«
»Mama, haben wir noch Eis?« Marie kam ins Arbeitszimmer und hielt Lea eine leere Schokoladeneispackung hin.
»Moment bitte, Marie, ich telefoniere gerade«, sagte Lea.
»Nur kurz.«
Lea rollte mit den Augen. »Unten in der Tiefkühltruhe gibt’s noch Erdbeereis, weil das keiner mag.«
Marie verzog das Gesicht. »Dann gehe ich zum Supermarkt und besorge Nachschub, kann ich mir das Geld aus deinem Portemonnaie nehmen?«
Lea nickte und scheuchte Marie mit einer Handbewegung aus dem Zimmer.
»Frau Kurz, ich bin wieder ansprechbar, entschuldigen Sie bitte.«
»Kein Problem, wir waren bei der Wohnung von Frau Desault.«
»Ja, genau.«
»Als die Beamten sich Zugang zu dieser Wohnung verschafft hatten, war die Waschmaschine mit der fertig geschleuderten Wäsche noch eingeschaltet, und auf einem Zettel in der Küche war für den Abend ein Friseurtermin notiert. Den hatte Frau Desault am Vormittag vereinbart. Außerdem lebte die junge Frau mit zwei Katzen in der Wohnung. Wir gehen davon aus, dass sie die bei Selbstmordabsichten noch versorgt hätte.«
»Das denke ich auch. Fürsorge für die Haustiere hat meistens einen ganz hohen Stellenwert«, bestätigte Lea. »Genau die gleiche befremdliche Konstellation bei einer zweiten mutmaßlichen Selbstmörderin – das kann doch kein Zufall sein, oder?«
»Nein, daran glauben wir auch nicht mehr«, fuhr Sandra Kurz fort, »es gibt noch weitere aufschlussreiche Parallelen. Aus dem Telefonspeicher von Frau Desault war ersichtlich, dass kurz vor ihrem Tod ein Anruf aus Frankreich eingegangen war. Bei den
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