Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
darf ich Ihnen etwas bringen?« Der Kellner war fast lau t los neben sie getreten.
»Ein Glas Pierre Gobillard bitte.«
Der Kellner drehte sich nach einer angedeuteten Verbeugung um und gab ihre Bestellung an den Barkeeper weiter, der einen schnellen Blick zu ihr hinüber geworfen hatte. Sie glaubte, in dem kurzen Blick Fragen zu erkennen: Auf wen wartete sie? Ihre Tochter, eine Freundin, den Ehemann, oder vielleicht ein amouröses Abenteuer?
Sie lehnte sich in dem weichen Sessel zurück. Der Club war noch nicht gefüllt. An einigen Tischen saßen Herren beieinander, Havanna-Zigarren wurden geraucht, nachdem man sie einer Geruchsprüfung unterzogen hatte. Ihr war die Prozedur bekannt, die sie an eine Zeremonie ihres Vaters erinnerte. »Du erkennst an dem Geruch der Zigarre fast alles. Ob die Blätter gut getrocknet wurden, ob die Zigarre aus den Blättern einer Ernte zusammengestellt ist, ob sie zu stark gepresst ist oder mit dem richtigen Druck von Hand gerollt zu einer wirklich guten Zigarre wurde.«
Bei den Herren schien es sich um geschäf t liche Zusammenkünfte zu handeln. Laptops und Unterlagen waren auf den Tischen ausgebreitet. Die wenigen anderen Besucher schienen entsprechend ihrer gelösten Stimmung eher privat zusammengekommen zu sein. An einem Tisch saßen zwei Frauen, vermu t lich Mutter und Tochter. Der Altersabstand und die ähnlichen Gesichtszüge sprachen dafür.
Susanna trank den prickelnden Champagner und wartete; sie wusste, er würde kommen. Niemals hatte sie vergeblich auf Männer gewartet. Oft auf die falschen, aber nie vergeblich.
Wenige Minuten später legte sich ihr von hinten eine warme Hand auf den Teil ihrer Schulter, der von dem schwarzen Etuikleid nicht bedeckt war.
»Bon soir, ma chère«, begrüßte sie eine weiche, tiefe Männerstimme.
Nach dem ausgedehnten Abendessen, das Lea allein mit Jonas eingenommen hatte, da Sören im OP war, Marie bei ihrer Freundin und Frederike auf ihrer ersten Klassenfahrt, die zwei Tage dauerte und dennoch eine große Aufregung war, räumte Lea die Küche auf. Die Sage von Sisyphos ist die Hausfrauensage schlechthin, überlegte sie, mehr oder weniger ergeben in die notwendige Wiederkehr der Handlungsabläufe in einem Haushalt. Als das Geräusch von einströmendem Wasser signalisierte, dass die Spülmaschine ihre Arbeit aufgenommen hatte, ging Lea ins Wohnzimmer. Sie knipste die Leselampe neben dem Kamin an und ließ sich in den Sessel fallen. Ihr fiel der Anruf von Maries Klassenlehrerin ein. Sie musste dringend mit Sören über Marie sprechen, vielleicht hatte ihre Tochter ihm etwas erzählt. Ihre Kinder hatten sich in verschiedenen Altersstufen und Lebensphasen immer mal den einen oder den anderen Elternteil ausgesucht, mit dem die Ärgernisse oder Sorgen besprochen wurden. Nach welchen Kriterien diese Auswahl jeweils vorgenommen wurde, blieb für Lea ein Geheimnis. Jedenfalls führte Marie seit etwa einem Jahr mit ihrem Vater die wohl vertraulicheren Gespräche, und bei Lea waren die organisatorischen Fragestellungen gelandet.
Sören hatte sich für 23 Uhr angekündigt, da er eine schwierige Operation für den Nachmittag angesetzt hatte. Lea nahm die Karteikarten aus der Kaminecke, wo sie liegengeblieben waren. Wenn ich jetzt nicht weiterkomme, lasse ich die ganze Sache auf sich beruhen, entschied sie, sonst wird diese Frau für mich zu einer fixen Idee. Der letzte Eintrag war vom 24. September:
Patientin wirkt depressiv und durcheinander. Es komme ihr alles vor wie ein Labyrinth, Weg war anfangs so klar, hatte Hoffnung!!! Nach dem Teufel kommt der Tod? Aufforderung zu einer wesentlichen Änderung. Sie müsse Zugang finden, die Pforte finden.
Einigermaßen deutlich erinnerte Lea sich, nach dieser Pforte gefragt zu haben. Aber wie so oft, hatte sie keine Antwort bekommen.
»Die Hohepriesterin, sie verbindet uns mit dem Wasser, aus dem alles Leben kommt. Das war der Anfang. Mit ihr habe ich meinen Weg begonnen.«
Am Rand der Karteikarte hatte Lea sich den Begriff Hohepriesterin notiert und nach dem Weg gefragt, ungeduldig und unzufrieden, weil sie nichts verstanden hatte. Frau van der Neer hatte es wohl bemerkt.
»Frau Johannsen, wir haben unseren Weg zu gehen. Er ist vorbestimmt, wir können uns keinen zweiten aussuchen.«
Das war ihre Antwort gewesen.
»Der Teufel, ich habe mich auf ihn eingelassen, über ihn meditiert.«
Danach das Leben oder Gerechtigkeit.
Angst vor dem Tod, schon immer Angst vor dem Tod. Als kleines Mädchen
Weitere Kostenlose Bücher