Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
zurückgelegten Weg sind die negativen Gefühle, die Schuldgefühle, die Anklage, der Zorn und die Enttäuschung. Wer sich darauf einlässt, diesen Schleier der Emotionen zu zerreißen, macht die Erinnerung zu einem schöpferischen Akt des Erkennens.«
Wie gebannt hatte sie dem Vortrag gelauscht.
»Ich bin alles, was war, was ist, was jemals sein wird«, diese Worte am Fuße der altägyptischen Isis-Statue wurden erklärt.
»Der Weg der Hohepriesterin bringt das Vergangene und Vergessene zurück und lässt es zu einer Einheit mit dem Heutigen verschmelzen.«
Die Vortragende hieß Jemina Faradiz. Zierlich hatte sie am Rednerpult gestanden, aber ihre Stimme war eindringlich gewesen, als sie den Weg aus der Zerrissenheit aufgezeigt hatte. Susanna war entschlossen, diesen Weg zu verfolgen, sie durfte ihn nicht mehr aus den Augen verlieren.
Lea versuchte sofort am nächsten Tag, Marie abzupassen. Aber diese war nachmittags bei ihrer Freundin Clara, bei der sie auch übernachten wollte, um noch ein Biologie-Referat vorzubereiten. Das hatte sie zumindest gesagt. Lea hatte nun den Verdacht, dass Marie ihr auswich. Vielleicht ahnte sie etwas vom mütterlichen Gesprächsvorhaben.
Wenigstens hatte sie am Vorabend Bender erreicht und ihm die beiden Namen Madeleine und Philipp genannt, die in ihren Notizen in Verbindung mit diesem ISG in Falkenstein aufgetaucht waren. Die biographischen Details über Susanna van der Neer hatte sie zusammengefasst und die Begriffe Turm und Magier, was auch immer diese zu bedeuten hatten, ins Gespräch gebracht.
Kommissar Bender hatte ebenfalls Neuigkeiten gehabt. »Die Kollegen von der Spurensicherung haben eine interessante Entdeckung gemacht. In einer Hose von Frau van der Neer im Wäschekorb im Badezimmer fanden sie einen zusammengeknüllten Zettel, auf dem stand: Du musst dich retten.«
»Du musst dich retten«, wiederholte Lea.
»So ist es. Die Hose lag wahrscheinlich noch nicht lange dort. Fragen Sie mich nicht, woher unsere Laborspezialisten das so genau wissen. Jedenfalls bedeutet es, dass der Zettel und die Nachricht höchstwahrscheinlich aktuell sind. Eine Besonderheit gibt es zu der Botschaft: Sie ist mit auffälligen Rechtschreibfehlern versehen: musst ist nur mit einem s geschrieben und retten mit einem t .«
»Ist es vielleicht die Schrift eines Kindes?«, fragte Lea.
»Nein, die Schriftanalyse hat ergeben, dass es sich um eine Erwachsenenschrift handelt, dass der Zettel in Eile geschrieben wurde und der Untergrund uneben war. Die Graphologen klären mit Vorliebe solche Einzelheiten. Es hat etwas mit unvollständigen Buchstaben und Druck auf das Schreibgerät zu tun.«
»Aber ein Erwachsener macht auch unter Zeitdruck eher selten solche Rechtschreibfehler. Würde ich jedenfalls mal annehmen«, äußerte Lea vorsichtig.
»Das sehen die Experten bei uns genauso. Also mehren sich die offenen Fragen. Zunächst dachte die Spurensicherung, uns mit einem Fingerabdruck eine Freude machen zu können, aber es stellte sich heraus, dass er nicht vollständig genug für eine Zuordnung war.« Franz Bender räusperte sich, seine Stimme klang nach Erkältung. »Nun, die …« Offensichtlich wurde der Kommissar aus dem Hintergrund etwas gefragt, denn Lea hörte seine Stimme plötzlich entfernt: »Schade, aber da schicken wir trotzdem jemanden vorbei, um die andere Sache kümmere ich mich.« Bender sprach wieder ins Telefon. »Entschuldigung, Frau Johannsen, ich muss zu einer Vernehmung, wir bleiben in Kontakt.«
Lea konnte sich gerade noch zurückhalten nachzufragen, ob die Vernehmung etwas mit Susanna van der Neer zu tun habe. Und was hatte er ihr noch sagen wollen?
Das Klackern hoher Schuhe hallte auf den Steinplatten. Einige Paare waren in Gespräche vertieft, man hörte Worte, die leiser wurden, und helles Lachen, das verklang. Keiner hob den Kopf und blickte diejenige an, die am Springbrunnen stand. Susanna betrachtete eine Weile das Wasserspiel, ging dann weiter und betrat den Club. Schon der Eingang aus cremefarbenem Marmor, dunklen Granitplatten und schwerem Ledermobiliar vermittelte den Eindruck von Geld, Macht und Ruhe. Reichtum und die Abwesenheit von Lärm waren unzertrennliche Gefährten. Susanna reichte dem Empfangschef wor t los die Kreditkarte. Er nickte und wies sie mit professioneller, nicht unfreundlicher Geste weiter in das Etablissement.
Hier fühlte sie sich wohl. Susanna blickte sich um und ließ sich an einem kleinen Tisch mit zwei Sesseln nieder.
»Madame,
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