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Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)

Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Heeger
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nachts zu Eltern in das Ehebett gekrochen, tröstende Umarmung der Mutter, Schutz vor der Nacht und den Gedanken. Tod ist grausam, wird es immer sein.
    »Er nimmt uns alle Chancen, es gibt keine Versöhnung.«
    Beim Lesen wurde Lea noch einmal deutlich bewusst, dass sie diese Sätze ohne wahres Verständnis notiert hatte. Und sie blieben undurchschaubar. Susanna van der Neers Lippen hatten nach diesen Worten angefangen zu zittern, das Zittern hatte sich in den Mundwinkeln fortgesetzt, und ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Lea hatte ihr einen Moment Zeit gelassen, dann aus Hilflosigkeit angeboten: »Wenn Sie so verzweifelt sind, kann ich Sie in eine Klinik einweisen.«
    »Nein, das möchte ich nicht, ich bin in einer therapeutischen Einrichtung, man kümmert sich um mich.«
    Therapeutische Einrichtung!
    Auch diese Information stand auf dem Kartenrand notiert, zweimal unterstrichen und mit einem fetten Ausrufezeichen versehen. Das half ihr allerdings auch nicht weiter. Frau van der Neer gab einige Informationen preis, andere behielt sie für sich. Wonach wählte sie das aus? Lea grübelte. Im Gespräch begann sie etwas von den Dingen, die sie quälten, preiszugeben. Aber dann, schlagartig, brach sie das Thema ab. »Ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich dachte …«, es war wieder eine Unterbrechung gefolgt, »Sie sehen die Dinge vielleicht aus einer ganz anderen Richtung, vielleicht gibt es ja doch noch andere Wege. Aber im Grunde wusste ich, dass es vergebens ist. Ich kann meinem Schicksal nicht entrinnen, keiner von uns, egal, wie oft man es versucht.«
    Es war zum Verzweifeln gewesen. Immer wenn sie versucht hatte, das Problem zu fassen, hatte Frau van der Neer eine Mauer errichtet. Über diese Mauer hatte sie nicht schauen können. Noch weniger war es ihr gelungen, sie zum Einsturz zu bringen. Frau van der Neer war gegangen. Erst aus ihrer Praxis und dann aus dem Leben. Hätte Lea Susanna van der Neer dazu drängen müssen, ihr Geheimnis preiszugeben? Wie waren ihre letzten Worte gewesen? »Ich danke Ihnen, dass Sie sich Zeit genommen haben. Ich habe Hoffnung, vielleicht kommt das Leben als Nächstes, ich muss es abwarten, es wird sich mir offenbaren, leben Sie wohl.«
    Danach gab es keine Eintragung mehr. Zu ihrem letzten Termin war Susanna van der Neer nicht mehr erschienen, dachte Lea bekümmert. Aber – so traurig und verzweifelt sich vieles anhörte, beim letzten Gespräch hatte sie auch von Hoffnung gesprochen, ihr allerletzter Satz war ein Satz der Hoffnung gewesen. Wenn sie doch nur eine Idee zur Bedeutung des Teufels hätte. War es der Teufel in Gestalt irgendeiner Person, die sie quälte, war es eine Erinnerung? Lea fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Tja, wir reden miteinander, sprechen die gleiche Sprache und verstehen uns trotz allem nicht.
    Frustriert ging Lea in die Küche, nahm sich eine Tüte Studentenfutter, Nervennahrung, und ging zurück ins Wohnzimmer. Frau van der Neer hatte beim Abschied nicht »Auf Wiedersehen« gesagt, sondern »Leben Sie wohl.« War das ein Hinweis auf eine Selbstmordabsicht? Lea rieb sich die Stirn, als wolle sie mechanisch ordnen, was in ihren Gedanken durcheinanderschwirrte. »Vielleicht kommt das Leben als Nächstes.« Was bedeutete das? Das Leben nach dem Tod oder was?
    Unzufrieden ließ Lea die Karteikarten auf den Fußboden fallen, öffnete die Verandatür und trat auf die Terrasse. Sie schaltete die Außenbeleuchtung an, nahm sich den Besen und fegte trotz der Dunkelheit das Laub von den Steinfliesen. Das war zwar eine ausgefallene, aber durchaus hilfreiche Möglichkeit, bei Ratlosigkeit wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Wodurch hatte sich die Hoffnung von Frau van der Neer verflüchtigt?
    Langsam schlenderte sie durch den kleinen Delikatessenladen vor zur Kasse. Der Wert der wenigen Dinge in ihrem Einkaufskorb hätte eine Familie für einige Zeit ernährt. Sie nahm das kleine Döschen Entenleberpastete aus dem Einkaufskorb und legte es auf dem Tresen ab. Vor ihr stand ein älterer Herr in dunkelblauem Blazermantel mit weißem Hemd und einer dezenten Krawatte mit türkisfarbenem Paisleymuster und unterhielt sich in melodischem Französisch mit der Kassiererin. Entspannt plauderte er über die Auswahl der Spezialitäten, den Wochenmarkt, über das Wetter und die Windverhältnisse am Genfer See. Sie hörte seinem Französisch und seiner nonchalanten Art des Plauderns zu, und das Bild vor ihr verschmolz mit Bildern der Vergangenheit. Ihr Vater, in

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