Mephistos Erben: Kriminalroman (German Edition)
sich zu geben, den Kopf.
»Na, na, kein Enthusiasmus? Vielleicht waren Sie früher einmal die Tochter eines Pharaos oder eine Hofdame am Hof von Heinrich dem Achten. Ich kann Ihnen versichern, dass diese Inkarnationen sehr beliebt sind.«
Er machte eine Pause, und Lea überlegte fieberhaft, was sie noch vorbringen könnte, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Aber ihr wollte nichts einfallen, ihre Gedanken waren wie erstarrt.
»Nun, ich denke«, Marcion blickte sie höhnisch an, »wenn Sie sich nicht entscheiden können, werden wir das für Sie übernehmen. Ein Ausflug in die jenseitige Welt, das ist doch etwas für Sie! Sie lieben doch das Abenteuer und das Unbekannte.«
Er nickte Ellen zu und bedeutete ihr, die Tür zu öffnen. Draußen standen zwei Männer in weißen Hosen und Hemden, die auf Lea wie Pfleger in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrischen Klinik wirkten.
Auf Marcions Wink traten sie in das Zimmer, griffen Lea an den Schultern und zwangen sie, sich wieder niederzusetzen. Sie schauten auf Marcion, warteten offensichtlich auf ein Kommando von ihm.
»Die Injektion«, sagte er zu Leas Entsetzen.
Einer von ihnen, ein blonder Hüne, der auf Lea wie ferngesteuert wirkte, griff sie ohne zu zögern beim Handgelenk und schob den Ärmel ihrer Jacke und ihres Pullovers bis über die Ellenbeuge nach oben. Obwohl Lea versuchte, sich auf die andere Seite des Korbsessels zu drehen, bewegte sie sich kaum einen Zentimeter. Dem Hünen waren weder Anstrengung noch Zeichen eines wie auch immer gearteten Interesses an der Situation anzumerken. Seine Gesichtszüge wirkten absolut teilnahmslos.
Ellen machte einige Schritte auf Lea zu. Diese sah, wie sie in der Hand, die sie aus ihrer Kostümjacke zog, eine Spritze mit gelblichem Inhalt hielt. Eine 2-ml-Spritze mit einer Zehner-Kanüle, registrierte die Ärztin automatisch.
»Sie sind doch alle verrückt geworden, lassen Sie mich jetzt sofort gehen!«
Lea versuchte, ihre Arme freizubekommen, rutschte auf dem Sessel nach vorne und bog sich zur Seite. Ohne Erfolg. Ihr wurde übel vor Angst. Sie hatte sich in ihrer Vorstellung, unantastbar zu sein – warum auch immer sie das geglaubt hatte –, wie eine Vollidiotin aufgeführt.
»Jetzt bitte«, versuchte Lea einen anderen Weg. Sie schaute Marcion an. »Hören Sie, es ist doch noch nichts geschehen. Ich weiß, dass Frau van der Neer hier Kurse besucht hat, und die Polizei weiß das auch. Ich konnte mir ihren Selbstmord nicht erklären, ich hatte Angst, etwas falsch gemacht zu haben, und wollte einige zusätzliche Informationen. Verstehen Sie das nicht?«
Marcions Blick ruhte unbewegt auf Lea. Ihre Erklärungen hatten keinen Eindruck auf ihn gemacht. Stattdessen schwenkte Ellen jetzt die unheildrohende Spritze vor Leas Augen hin und her. Ein Albtraum! Lea sehnte sich verzweifelt nach dem Erwachen.
»Da sehen Sie mal, wie es den Patienten in der Psychiatrie geht, die wollen sich auch nicht helfen lassen.«
Ellen neigte sich über Leas Arm und klopfte kurz hintereinander auf die Ellenbeuge, woraufhin die Venen deutlicher hervortraten. Überraschend geübt punktierte sie eine von Leas Venen und aspirierte professionell das Blut, das sich mit der Flüssigkeit in der Spritze mischte. Panik erfasste Lea. Ihr Herz hämmerte. Sie hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Die Angst kroch von der Magengrube in Richtung Hals und schnürte ihr die Kehle zu. Hilflos musste sie es über sich ergehen lassen, dass der Inhalt der Kanüle langsam in ihre Vene gespritzt wurde.
Ellen fixierte während der gesamten Zeitdauer der Injektion ihre Augen. Sie genoss ihre Macht, daran gab es keinen Zweifel.
Was konnte das sein? Barbiturate, Insulin, Adrenalin? Lea versuchte verzweifelt, ihre Angst unter Kontrolle zu bringen. Doch fast sofort spürte sie die Wirkung der Spritze. Eine weiße, dichte Wolke trieb auf sie zu und hüllte sie ein. Sie wunderte sich, dass ihr nicht kalt wurde. Die Personen um sie herum und das Zimmer verschwanden. Sie hörte entfernt eine männliche Stimme: »Los, schafft sie runter, nehmt den Mantel mit, er braucht nicht hier herumzuliegen!«
Lea fühlte, wie die Wolke sich mit ihr bewegte.
»Schicken wir sie zu den anderen?«, fragte, für Lea kaum noch hörbar, eine Stimme. Die Antwort konnte sie nicht mehr verstehen. Die letzten Töne, die zu ihr durchdrangen, waren die melodischen Klingeltöne des Handys aus ihrer Manteltasche.
Sandra Kurz hielt Kommissar Bender den Telefonhörer
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