Merani und die Schlange unter dem Meer
Gesicht nahm nun eine grünliche Farbe an, und sie wankte zur Reling. Sofort war Merani bei ihr, um sie festzuhalten, damit sie nicht über Bord fiel. Gleichzeitigsetzte sie ihre Heilfähigkeiten ein, um den Magen der Frau zu beruhigen.
»Danke! Es geht schon wieder«, flüsterte Anih nach einer Weile.
»Keine Ursache! Solange nicht mehr passiert, können wir zufrieden sein.« Merani führte die Frau zur Luke und half ihr die Treppe hinab. Unten war das Schaukeln zwar nicht geringer als oben, doch gut eingepackt in ihrer Koje und einem mit belebenden Essenzen getränkten Tuch auf der Stirn vermochte Anih schon wieder zu lächeln.
»Ich weiß nicht, was die Leute an der Seefahrt finden«, meinte sie. »Entweder liegt ein Schiff in einer Flaute fest, oder der Wind bläst einen beinahe von Bord. Ein Mittelding gibt es wohl nicht.«
»Doch, einen Windmagier. Der fehlt uns jetzt.«
»Und was ist mit dir? Du bist doch so begabt.«
Merani zog beschämt den Kopf ein. »Ich bemühe mich, so viel zu lernen, wie ich kann. Aber lokalen Wind zu erzeugen übersteigt derzeit noch meine Fähigkeiten.«
»Du wirst es noch lernen.« Anih seufzte und bat Merani, sie allein zu lassen. »Vielleicht kann ich ein wenig schlafen. Wecke mich bitte erst, wenn wir unser Ziel erreicht haben.«
Merani wollte schon sagen, dass es selbst bei besten Windverhältnissen noch einige Tage dauern würde, bis sie den Geburtsort der magischen Stürme erreicht hatten. Doch nicht mal danach sah der Himmel derzeit aus. Sie wünschte Anih einen geruhsamen Schlaf und stieg wieder an Deck. Dort hatten Kipan und die Matrosen inzwischen alle Segel bis auf die kleine Sturmbeseglung geborgen. Trotzdem schoss die »Seeschäumer II« mit rasender Geschwindigkeit über die Wellen.
Ihre beiden Freunde hatten sich an die Reling im Heck zurückgezogen und hielten sich dort fest. Als Merani auf sie zuging, sah es für sie so aus, als hätte sich irgendetwas Weißmagisches auf Argeelas Schulter niedergelassen. Sie wollte schon einen Warnruf ausstoßen, da rührte sich das Ding, und das Weiß wurde von Blauüberlagert. Jetzt erkannte sie Timpo, der es sich auf der Schulter ihrer Freundin bequem gemacht hatte und sich weder durch den Sturmwind noch die aufspritzende Gischt stören ließ.
Merani ging auf Argeela zu und betrachtete das Salasa, das seit dem Aufenthalt im Hexenwald eine überraschende Vorliebe für ihre Freundin entwickelt hatte. »Komisch! Für einen Augenblick war mir, als habe Timpo sich weiß gefärbt.«
»Was du nicht sagst!« Argeela drehte den Kopf so, dass sie das Tierchen anblicken konnte, und kniff die Augen zusammen. Nach einer kurzen Weile schüttelte sie den Kopf. »Timpo ist so blau wie immer. Keine Ahnung, was du gesehen hast.«
»Wahrscheinlich war es ein Fetzen weißer Magie, den der Sturm herangetragen und der Timpo einen Augenblick lang eingehüllt hat«, warf Careedhal ein.
»Nein, nein! Ein Magiefetzen sieht anders aus!« Merani wusste selbst nicht, weshalb sie so harsch reagierte. Zwar hatte sie immer eine gewisse Abneigung gegen Weiß empfunden, es aber nie gehasst. Nun aber war es ihr, als fordere etwas in ihr sie auf, alle Wesen dieser Farbe zu bekämpfen.
»Ich werde das Reinigungsritual noch einmal durchführen müssen«, erklärte sie, während ihr Blick über einen Horizont schweifte, in dem die Farben des Himmels ansatzlos in die des Meeres übergingen.
»War es schon immer so, Onkel Kip?«, schrie sie gegen den Sturm an.
Der Großadmiral drehte sich um und schüttelte den Kopf. »Nein, Mädchen! So haben der Himmel und die See früher nur beim Geburtsort der Stürme ausgesehen. Damals hat deine Urgroßmutter beinahe jeden Sturm voraussagen können, und die waren weitaus schwächer gewesen. Natürlich sind auch zu jener Zeit Schiffe verloren gegangen, doch da waren die Kapitäne meist selbst schuld.«
»Das gilt wohl auch für meinen Großvater.« Merani hatte Meranehs ersten Mann nie kennengelernt, denn er war auf See umgekommen,als ihre Mutter noch ein kleines Mädchen gewesen war. Soweit man wusste, war er auf einen Riesenschwarm von Goldgarnelen gestoßen und hatte den Fang unbedingt einbringen wollen. Doch der Sturm war schneller gewesen als er.
Rasch wischte sie sich eine Träne aus den Augen und blickte zu Timpo hinüber. Doch als sie die Hand ausstreckte, um ihn an sich zu nehmen, wich er ihr aus und krallte sich auf der Schulter ihrer Freundin fest.
»Aua, das tut doch weh! Bist du verrückt geworden?«,
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