Merani und die Schlange unter dem Meer
sie schade, so wie um jedes Volk auf unserem Archipel!« Merani ärgerte sich über sich selbst, denn so seltsame Gedanken hatte sie noch nie gehegt. Es war fast, als würde jemand versuchen, ihr Hass auf die weiße Farbe einzuflößen, aber auch auf das magische Gelb und Grün.
»Bevor ich den Kristall anfassen kann, muss ich das Reinigungsritual durchführen«, erklärte sie.
Argeela und Careedhal blickten sie erstaunt an. »Glaubst du, ein fremder Geist greift nach dir?«, fragte Careedhal.
»Ich glaube gar nichts, außer an Giringar«, fauchte Merani, um sich aber sofort zu entschuldigen. »Es tut mir leid. Aber ich fühle eine Last auf meinen Schultern, die mich schier erdrückt. Außerdem habe ich böse Tagträume.«
»Sind es Zukunftsvisionen, so wie deine Mutter sie manchmal hat?«, hakte Careedhal nach.
Merani antwortete mit einem Achselzucken. »Ich weiß es nicht. Die Dinge könnten auch bereits geschehen sein oder gerade eben geschehen.«
»Bevor Ihr irgendein Ritual oder sonst was macht, werdet Ihr erst einmal etwas essen. Ich will die guten Sachen nicht umsonst in den Wald geschleppt haben!« Qulka packte ihren magischen Herd aus, holte ihre Pfanne hervor und begann, Pfannkuchen zu backen.
»Mit Blaubeeren müssten sie ganz gut schmecken«, erklärte sie und blickte sich um. »Wo sind denn die Blaubeerbüsche?«
Das leichte Wedeln einiger Äste zeigte ihr den Weg. Merani folgte dem Gurrlandmädchen, denn sie verspürte auf einmal Appetit auf Beeren. Sie mussten weniger als hundert Schritte zurücklegen, bis sie auf eine Ansammlung von Blaubeerbüschen trafen, deren Beeren für eine halbe Armee ausgereicht hätten.
»Ich verstehe immer noch nicht, wer die isst, wenn wir nicht hier sind.« Dieses Rätsel ließ Careedhal, der sich ebenfalls angeschlossen hatte, nicht los.
»Keine Ahnung«, sagte Merani und begann zu pflücken. Timpo, der immer noch auf ihrer Schulter saß und anscheinend geschlafen hatte, wurde auf einmal quicklebendig. Mit einem Satz sprang er auf den Boden und fiel über die Blaubeeren her, als wäre er am Verhungern.
»Vielleicht ist das die Antwort: Timpo frisst sie alle«, erklärte Merani lachend.
»Wen frisst er?« Careedhal hatte seine Frage bereits wieder vergessen.
Seine Schwester schüttelte den Kopf und begann dann ebenfallszu essen. »Schade, dass es keinen solchen Wald auf Ardhu gibt. Den würde ich jeden Tag besuchen«, seufzte sie.
»Wunschbeeren wären mir noch lieber. Doch die gibt es leider nur auf Runia, und da dürfen wir nicht hin.« Kaum hatte Careedhal es gesagt, wichen ihm die Zweige der Beerenbüsche aus, und er hatte Mühe, an Früchte zu kommen.
»Der Wald ist ziemlich eingebildet. Er mag es nicht, wenn jemand andere Beeren für besser hält«, spottete Argeela.
»Ich behaupte nicht, die weißen Beeren seien besser. Die hier schmecken nämlich ganz ausgezeichnet. Ich hätte die anderen halt auch gern mal probiert.« Careedhal schnaufte tief durch und versuchte einen Zweig mit vielen Beeren zu erhaschen. Doch der wich ihm geschickt aus, und Careedhal hielt stattdessen einen in der Hand, den Qulka bereits abgeerntet hatte. Er wollte ihn enttäuscht loslassen, als er sah, dass der Zweig erneut austrieb und innerhalb weniger Augenblicke neue Beeren trug.
»Hui! Das ist aber ein Zauber, den du noch nicht beherrschst«, rief er Merani zu.
»Diesen Zauber vermag kein Magier und keine Hexe in unserem Archipel fertigzubringen. Ich weiß, dass der Hofmagier des Fürsten Tengil von Teren Blüten an einen Strauch zaubern kann, aber solche Früchte vermag auch er nicht zu erschaffen.« Merani rülpste und stand auf. »Wir sollten aufhören, sonst verärgern wir Qulka, die extra Pfannkuchen für uns macht.«
»Ich glaube, ich kriege nichts mehr runter«, stöhnte Argeela und stopfte sich eine Handvoll Beeren in den Mund.
9
Argeela war doch noch in der Lage, zwei mit Blaubeeren gefüllte Pfannkuchen zu verdrücken, fühlte sich dann aber wie genudelt und beschloss, ein Mittagsschläfchen auf dem weichen Moos zu halten.
Mit einem neidischen Blick auf ihre Freundin setzte Merani sich im Schneidersitz hin, legte ihre Hände auf die Knie und schloss die Augen. Doch so rasch, wie sie gehofft hatte, vermochte sie nicht in Trance zu versinken. Es fühlte sich an, als wäre ihr Kopf ein Käfig, der ihre Gedanken und Sinne festhalten wollte. Verbissen kämpfte sie gegen die störenden Einflüsse an und spürte mit einem Mal eine winzige Spur Schwarz an
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