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Mercy, Band 2: Erweckt

Mercy, Band 2: Erweckt

Titel: Mercy, Band 2: Erweckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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Ewigkeit dort bleiben können, wir beide zusammen auf diesem Boot, immer unterwegs. Nein, ich wollte nicht weg.“
    Beinahe wärst du auch geblieben, denke ich. Beinahe wärst du nicht zurückgekommen. Und ich frage mich, ob das mein Werk war. Ob ich sie irgendwie zu uns zurückgeholt habe.
    Georgia greift nach der Schnabeltasse auf dem Nachttisch, hebt sie an Mr s Neills aufgesprungene Lippen, um sie anzufeuchten, aber Lelas Mutter scheucht sie weg. Ihre Augen wirken riesig, sie ist nur noch ein Häufchen Knochen mit gelber Haut und wildem, zerzaustem Haar. Was ist das nur für ein Krebs, der solche Verwüstungen anrichtet? Aber ich kann nicht danach fragen, ich müsste es ja wissen.
    „Das Schlucken wird mir langsam zu mühsam“, murmelt Mr s Neill. „Die Schmerzen, weißt d u – wird jetzt nicht mehr lange dauern, Lel, mein Schatz, dann bin ich dir keine Last meh r …“
    „Was reden Sie denn da, Karen!“, schimpft Georgia, dann klingelt es an der Tür, und sie geht hinaus, um aufzumachen.
    „Dass du nur bei mir bist, Le l – das ist besser als jede Medizin“, wispert Mr s Neill, bevor sie wieder wegdämmert.
    Es ist fast Abend, und die Gemeindepflegerin, die zwischendurch da war, ist längst wieder fort. Sie hat Lelas Mutter eine nahrhafte Mahlzeit gekocht, die ich im Mixer püriert habe, um sie ihr mit dem Löffel zu füttern. Aber Mr s Neill wollte nicht essen, das Schlucken war zu schmerzhaft.
    Es lohnte sich nicht, an diesem Tag noch mal ins Green Lantern zurückzugehen, also habe ich Georgia weggeschickt und ihr gesagt, dass wir das Pflegeteam in der Nacht nicht brauchen würden.
    „Ist es auch wirklich okay?“, fragte Georgia und blickte mir prüfend in die Augen. „Sind Sie ganz sicher, dass Sie zurechtkommen?“
    Es machte ihr zu schaffen, dass sie die Zeichen falsch gedeutet hatte. Sie konnte sich nicht erklären, warum es Mr s Neill plötzlich so viel besser ging, und das „haute sie aus den Latschen“, wie die Leute hier sagen, weil es ihre Urteilskraft infrage stellt.
    Im Haus ist es still, seit wir nur noch zu zweit sind. Wie gerne würde ich in die schmutzige, hektische Welt draußen zurückkehren und Antworten auf meine Fragen suchen, aber wenn Georgia Recht hat und Mr s Neill tatsächlich im Sterben liegt, kann ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass sie ihre letzten Stunden ohne ihre Tochter verbringen muss. Ich bin nicht herzlos. Eine Nacht mehr oder weniger, was spielt das schon für eine Rolle?
    Als ich aus dem Badezimmer zurückkomme, ist Lelas Haar noch feucht, und Mr s Neill schläft wieder. Das Sonnenlicht dringt durch die Fenster des alten Hauses, wärmt die Dielen in ihrem Schlafzimmer, funkelt im Spiegel, im Gehwagen, im fahrbaren Waschbecke n – ein Licht von der Farbe flüssigen Bernsteins. Ich sitze im Schneidersitz auf dem Sessel am Bett und bewache den Schlaf von Lelas Mutter. Die Schatten werden länger, und ich bin tief in Gedanken versunken, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spüre.
    Blitzschnell wirble ich auf meinem Sessel herum, greife nach oben, um das Handgelenk des Eindringlings mit meiner brennenden Linken zu zerquetsche n – und fasse ins Leere.
    Ich hebe den Kopf und blicke in sein Gesicht, und mein Schrecken, meine wilde, animalische Angst verwandelt sich in reine Glückseligkeit. Denn er ist bei mir, hier in diesem Raum, ist wieder da und seine Augen sind voll Liebe. Für mich . Er, der Luc so ähnlich ist, dass er sein Bruder sein könnte, sein Blutsverwandter. Nur dass er sterblich ist.
    „Ryan“, wispere ich, als er mich in seine Arme zieht. Sein Name fliegt mich an, ein Wissen, das fast reflexartig ist, als sei es irgendwo auf einer dunklen zellulären Ebene einprogrammiert.
    „Schade, dass du dein Gesicht nicht sehen kannst“, witzelt Ryan, als ich probeweise meine Wange an sein schmerzlich vertrautes Profil schmiege und seinen wunderbaren, reinlichen Männergeruch einatme.
    Er trägt eine abgewetzte Lederjacke, ein verwaschenes dunkelblaues T-Shirt, abgestoßene Stiefel und Jeans. Ich fühle mich wie im Himmel mit ihm.
    Ich bekomme Angst vor meinen Gefühlen, die wie ein Meer in mir wogen. Was würde Luc sagen, wenn er das wüsste? Er war schon immer s o … fürsorglich, so behütend, obwohl Worte nicht beschreiben können, wie aufmerksam er mich beobachtete, wie sorgsam er über mich wachte. Als er mich zu der Seinen erwählte, war es für die Ewigkei t – in saecula saeculorum . Bei ihm fühlte ich mich sicher.

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