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Mercy, Band 2: Erweckt

Mercy, Band 2: Erweckt

Titel: Mercy, Band 2: Erweckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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und sie auf meine legt. Bevor ich reagieren, ihm meine Hände entreißen kann, sehe ic h …
    … einen toten Vogel, der mit den Flügeln an einen Baum genagelt ist.
    … schreiende Hamster und Meerschweinchen, die bei lebendigem Leib in ihrem Käfig verbrannt werden.
    … eine verstümmelte Katze, am Schwanz aufgehängt, mit einem Armbrustpfeil in ihrer zerfetzten Brust.
    Ich breche den Kontakt abrupt ab und die Bilder von diesen gequälten Kreaturen verschwinden. Ich rieche nicht mehr die Winterluft, den Rauch- und Brandbeschleuniger-Gestank, höre nicht mehr das Rascheln des abgefallenen Laubs und das Knirschen der Kieselsteine unter meinen Füßen. Nein, seinen Füßen.
    „Herr im Himmel, Ranald“, stoße ich rau hervor, „fass mich nie wieder an.“
    Ich zittere, aber den Grund braucht er nicht zu wissen. Und ich will auch nicht wissen, warum er solche Bilder in seinem Kopf herumträgt. Ich lasse mich grundsätzlich nicht gern anfassen, aber das hier ist etwas ganz anderes. Ich fühle mich beschmutzt, weil ich etwas gesehen habe, was nicht für meine Augen bestimmt war.
    „Tut mir leid“, sagt Ranald. Er verschränkt die Arme und blinzelt heftig. „Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Hoffentlich hast du es nicht in den falschen Hals gekriegt.“
    Im ersten Moment denke ich, er spricht von den Tierquälereien, die er als kleiner Junge begangen hat. Das war abscheulich. Wie in aller Welt soll ich das in den falschen Hals kriegen? Aber dann wird mir klar, dass er die Berührung vorhin meint; er denkt, es hätte mich gestört, dass er meine Hände genommen hat. Doch die Behutsamkeit dieser Geste straft die Bilder Lügen, die ich in seinem Kopf gesehen habe. Vielleicht hat er sich geändert. Oder vielleicht sind alle kleinen Jungen so und quälen hilflose Tiere, die noch kleiner und wehrloser sind als sie selbst. Was weiß ich denn schon? Wenn man diese Taten im größeren Zusammenhang betrachtet und mit den Gräueln in meinen Träumen vergleicht, sind Ranalds Kindheitssünden vielleicht gar nicht so schlimm.
    Ich schaue auf den Bildschirm, auf ein relativ neues Foto von Ryan Daley, und wieder macht Lelas Herz einen Freudensprung. Entschlossen verdränge ich die Schreie der gequälten Kreaturen, den Geruch nach versengtem Fleisch und Fel l – schließlich brauche ich Ranald noch, und ich kann es mir nicht leisten, ihn zu verurteilen. Ein Telefon allein nützt mir nichts. Das weiß ich, weil ich heute Morgen vor der Arbeit Ryans Nummer gewählt hab e – die Nummer, die ich mir als Carmen Zappacosta eingeprägt hatte. Da kam nur eine elektronische Frauenstimme, die mich aufforderte, die Nummer zu überprüfen und erneut zu wählen. Ich brauche einen Zugang zu diesem menschengemachten brodelnden Universum, dem Internet, und Ranald kann mir dabei helfen. Er muss mir nur zeigen, wie es funktioniert, den Rest erledige ich alleine.
    Wenn Ranal d – wie sagte die Busfahrerin noch mal ? – tatsächlich „verknallt“ in Lela ist, kann ich mir das zunutze machen. Aber ich muss vorsichtig sein: Ich will Lela nicht in eine Situation hineinmanövrieren, aus der sie nachher nicht mehr herauskommt. Kontakt herstellen, nehmen, was ich brauche, Kontakt abbrechen. In dieser Hinsicht kann ich gnadenlos sein.
    Ich raffe meine versprengten Gedanken zusammen und erwidere möglichst ruhig: „Ist schon gut, Ranald, ich hab’s nicht in den falschen Hals gekriegt. Ich hab dich ja auch angefasst, und das war nicht in Ordnung. Zu vertraulich. Tut mir leid.“
    Ich hoffe, er versteht meine versteckte Anspielung, weil umgekehrt natürlich dasselbe gilt.
    „Du musst dich nicht entschuldigen“, sagt er erleichtert und deutet einladend auf den Stuhl neben sich.
    Ich bleibe stehen.
    „Also wenn ich das richtig sehe, hast du keinen eigenen Computer“, trumpft er auf.
    Ich schüttle den Kopf.
    „Gut, dann richte ich dir ein Profil ein und du kannst dem Typ eine Nachricht schicken. Das Passwort suchst du dir selber aus. Ich richte es nur ein, dann geh ich auf Tauchstation.“
    Ich rücke etwas näher heran und beobachte, wie er ein paar Buttons anklickt. Ryans Gesicht verschwindet, ebenso die höfliche Frage, ob ich Kontakt mit ihm aufnehmen will, stattdessen taucht ein Fragebogen auf. Ranald trägt Lelas Vor- und Nachname ein, ihr Geschlecht, und erfindet einen Geburtstag, weil ich ihm keinen verrate. Seine Hände fliegen über die Tasten. Dann steht er auf und schiebt mir den Laptop über den Tisch zu. „Die E-Mail-Adresse

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